01. Januar 2016

Nachstellung historischer Putze

Baustellenmischungen werden oft zu Nachstellungen von historischen Putzen verwendet. Dabei handelt es sich in der Regel um Objekte wie Burgen, Schlösser oder Kirchen mit entsprechend großen Fassadenflächen. Bei entsprechender Planung und durchdachter Materiallogistik können solche Instandsetzungen durchaus wirtschaftlich interessant sein.

Auch wenn die in der Ausschreibung dar­gelegte Putzmörtelanalyse mit nach­folgender Zusammensetzung der Baustellenmischung vielleicht verwirrend klingen mag, so kann sich dies bei näherer Betrachtung als ­interessanter Auftrag herausstellen. In den Ausschreibungstexten für ­Fassadeninstand-setzungen an denkmalgeschützten ­Objekten liest sich die ­Forderung zur Nachstellung von Putzen mit Bau­stellenmischungen häufig wie folgt:
Rezepturmörtel aufgehendes Mauerwerk MG II:
1. Natürlicher Hydraulischer Kalk
NHL 2 (Mindestdruckfestigkeit 2N/mm²) – 1 Volumenanteil (VA)
2. HS Zement 42,5 – 0,5 VA
3. Sand 0 - 2 mm ungewaschen, Grube XY – 3 VA
4. Sand 0 - 4 mm gewaschen – 1 VA
5. Schwachbrand Ziegelmehl 0 - 4 mm – 0,5 VA
Als Bindemittel könnten Weißzement, Trasskalk, hochhydraulischer Kalk, Sumpfkalk oder Kasein Verwendung ­finden.
Weitere infrage kommende Zuschlagstoffe wären Schlacke, Bims, Holzkohle, Perlit, Blähton, Porphyr(mehl), Granit, Schiefer, Kalzit, Muschelkalk, Travertin, Topas, ­Serpentin, Marmor(mehl), Quarzporphyr, Ostrauer Kalk oder Hochofenschlacke. Die aufgeführten Zuschlagstoffe stellen häufig regionale Besonderheiten dar und die Aufzählung ist bei Weitem nicht vollständig. Gemeinsam haben die meisten von ­ihnen, dass sie schwer zu beschaffen sind und gute Kenntnisse des regio­nalen Zuliefernetzwerkes voraussetzen. Die Zuschlagstoffe haben ­einerseits ­bestimmte bauchemische Funktionen wie die eines latent hydraulischen ­Zusatzes (Hochofenschlacke, Ziegelmehl, Trass) und wurden andererseits zur Herstellung bestimmter regional­typischer Putzfarbigkeiten verwendet. So dient das Marmormehl zur Herstellung fast weißer Putze, das ­Porphyrmehl ergibt rötliche Putze, mit Ostrauer Kalk ergeben sich gelbliche Putze und mit Holzkohle und Schlacke werden Putze schwarz eingefärbt. In histo­rischen Putzbefunden finden sich auch mehrfarbige Einschlüsse, welche nachgestellt werden können.

Wie entstehen derartige Rezepturen und was ist zu beachten?
Vorweg sei gesagt, dass derartige Putzmörtelnachstellungen inzwischen von einer ganzen Reihe von Werkstrockenmörtelherstellern angeboten werden. Diese rezeptieren nach Einsendung ­einer Mörtelprobe und Anfertigung ­einer Putzmörtelanalyse mit Feststellung von Sieblinie, Bindemittelgehalt und Analyse der Zuschlagstoffe einen dem Original ähnlichen Mörtel. Diese Werkstrockenmörtel bieten den Vorteil, dass sie werksmäßig hergestellt wurden und fertig rezeptiert als Sackware auf die Baustelle geliefert werden. Der Werkstrockenmörtel kann problemlos in jedem NCS-Farbton pigmentiert und auch entsprechend der Schlag­regen-Expositionsklasse wasser­hemmend oder wasserabweisend ausgerüstet werden. Allerdings bieten die Nachstellungen der Trockenmörtel­hersteller nach ­Ansicht des Verfassers nur eine gewisse Annäherung an das historische Original. Die authentischs­ten und aus restau­ratorischer Sicht überzeugendsten Nachstellungen von historischen Putzen gelingen tatsächlich durch Baustellenmischungen. Diese werden, wie der ­Name schon sagt, ­direkt auf der Baustelle durch den Hand­werker aus den verschiedenen ­Binde-mitteln und ­Zuschlagstoffen unter Beigabe von ­Anmachwasser angemischt.

Analyse als Grundlage
Dies war früher ein übliches Verfahren, welches seit Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Herstellung indus­triell ­gefertigter Baustoffe mehr und mehr verdrängt wurde und heute nur noch vereinzelt Anwendung findet. Die Grundlage einer originalgetreuen Nachstellung eines historischen Putzes bildet die Analyse des historischen Putzmaterials. Aus dieser Analyse ­können Informationen zur Masse der säurelöslichen Bestandteile, zur Sieb­linie, zur qualitativen Zusammen­setzung des Zuschlages und zum verwendeten Bindemittel gewonnen ­werden. Anhand dieser Informationen kann der Putzmörtel in die heute ­üblichen Putzklasse nach DIN 18550 beziehungsweise nach DIN EN 998-1 eingeordnet werden.

Kein Kalkstein als Zuschlagstoff
So kann der nachfolgenden, beispielhaften Putzmörtelanalyse (Grafik) entnommen werden, dass die Masse der säure­löslichen Bestandteile zirka ein Viertel der Gesamttrockenmasse des Putz­materials ausmachte. Zu beachten ist dabei, dass der Putz keinen Kalkstein als Zuschlagstoff enthalten darf, da dies als säurelöslicher Bestandteil den Bindemittelanteil verfälschen ­würde. Weiterhin wurde ein Sand mit dem Hauptbestandteil in der Siebklasse 0,315 mm mit ­gu­ter Abstufung zum Feinstanteil und zum Größtkorn 4 mm verwendet. Diese gleichmäßige Ab­stufung des Zuschlagstoffanteils ist für die Ausbildung einer gleichmäßigen Bindemittel-Zuschlagstoffmatrix erforderlich und bildet die Grundlage für das Erreichen der ­gewünschten Druckfestigkeit und ­vermeidet Schwindrissbildung. Gleichzeitig ist die Zusammensetzung der Sieblinie und das verwendete Größtkorn hauptverantwortlich für die spätere Oberflächentextur des Putzes. So ergeben sich bei den Kellenzieh­putzen, ­Kellenwürfen oder barocken Reibeputzen die typischen Oberflächenstrukturen.

Mögliche Schwindrissbildungen
Es empfiehlt sich, die vorgeschlagene Baustellenrezeptur zunächst an einigen Musterachsen auszuprobieren, da schon geringe Schwankungen, beispielsweise im Lehmgehalt des ungewaschenen Sandes, zu unterschiedlichen Arbeits­ergebnissen führen. Die Musterachse dient natürlich auch zur Evaluierung der handwerklichen Ausführungs­qualität und bildet die Grundlage für die spätere Beurteilung der Gesamt­fassade. Hier sollte man auf mögliche Schwindrissbildungen hinweisen und nicht versuchen, eine höhere Ausführungsqualität zu erreichen, als an der Gesamtfassade möglich ist. Die ­Berechnung der Volumenanteile der Baustellenmischung aus der Putzmörtel­analyse erfolgt über die Formel Volumen [m³] = Trockenmasse[kg]/Rohdichte [kg/m³]. Sollen aus den Angaben der Baustellenmischung die Masseanteile des zu bestellenden Materials berechnet werden, ist die Formel entsprechend umzustellen. Die Rohdichteangaben finden sich in den Bautabellen beziehungsweise lassen sich bei den Her­stellern und Zulieferern erfragen.

Was ist bei der Herstellung und ­Verarbeitung zu beachten?
Zunächst einmal gilt: Die genaue ­Planung der Materiallogistik ist die Grundlage für den wirtschaftlichen ­Erfolg der Baustelle. Auf Grundlage der Volumenanteile der Baustellenrezeptur und der zu verputzenden Fassadenfläche bei Beachtung der Schichtdicke des Putzes lassen sich nach vorgenannter Formel die Massen des zu bestellenden Materials berechnen. Dabei gilt es zu beachten, dass es schon bei Nach­bestellung des ungewaschenen Sandes aus der gleichen Sandgrube zu farb­lichen Abweichungen des Putzes ­kommen kann. Soll der Putz, wie in ­Abbildung 2 zu sehen, unbeschichtet bleiben, wäre eine Nachlieferung des Sandes möglichst zu vermeiden.
Die Baustoffe sollten witterungs­geschützt und logistisch günstig auf der Baustelle gelagert werden. Dabei ist zu bedenken, dass das gesamte Material, welches sich bei großen Fassadenflächen schnell zu mehreren Tonnen ­kumuliert, händisch angemischt und verarbeitet werden muss. Jeder Meter, den das Material zusätzlich ­bewegt werden muss, kostet Zeit und Geld.

Fassade in Arbeitsbereiche aufteilen
Beim Anmischen des Materials ist absolute Genauigkeit erforderlich. Die Volumenanteile müssen mit Eimern oder für das Bindemittel oder zuzusetzende Pigmente mit dem Messbecher zugegeben werden und gründlich, möglichst mit ­einem Freifallmischer, durchgemischt werden. Nachfolgend ist zu überlegen, ob der Putzmörtel mit einer Pumpe auf das Gerüst transportiert werden kann. Dies setzt die Pumpfähigkeit des Putzmörtels und einen kontinuierlichen Verarbeitungsprozess auf dem Gerüst vo­raus, welcher mit einer dementsprechen­den Arbeitskräfteeinteilung ver­bunden ist. Die Fassade sollte entsprechend den verfügbaren Arbeitskräften, den Tagwerken und der Menge des anmisch­baren Putzmaterials in ­Arbeitsbereiche auf­geteilt werden. ­Diese sollten sich an Fassaden­ver­sprüngen orientieren, da sich hier oft leichte ­Unterschiede ergeben.

Unterschiede die unvermeidbar sind, aber oft zu Diskussionen führen
Dies betrifft auch die Sichtbarkeit der Gerüstlagen und die wandfolgende ­Abrichtung des Verputzes. Beides sind Details, welche sich besser im Vorfeld klären lassen, als an der fertig verputzten Fassade. Weiterhin gilt es zu beachten, dass bei Baustellenmischungen die handwerklichen Selbstverständlich­keiten, wie die genaue Prüfung der Putzuntergründe, peinlichst genau erfolgen sollten. Die Baustellenmischungen verzeihen in der Regel ­weniger Fehler als die oftmals modi­fizierten und in vielerlei Hinsicht optimierten neuzeitlichen Putzsysteme. Auch sollte man die Standzeit der einzelnen Putzlagen nicht der Verkürzung des Bauablauf­planes opfern, da die ­geringe Frühfes­tigkeit dieser Putze noch keine tragfähige Grundlage für die ­darauf fol­genden Putzschichten darstellt. Der Karbonatisierungsprozess der teilweise nichthydraulischen Binde­mittel benö­tigt das Kohlendioxid der Luft zur Erhärtung. Jede zu früh aufgetragene weitere Putz- oder Farbschicht unterbindet diesen Erhärtungsprozess. Im Zweifelsfall kann die Karbonatisierungs­tiefe durch Farbumschlag mit ­einer Phenolph­­thaleinprobe bestimmt werden. Vorsicht auch bei den gern ge­-wün­schten lasierenden Beschichtungen. ­Jede Unregelmäßigkeit in der Oberflächentextur wird ablesbar bleiben.

Besonderheiten beachten
Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass die Ausführung von Putzen mit Baustellenmischungen einige Besonderheiten aufweist, die es zu beachten gilt. Bei entsprechender Vorplanung der ­Materiallogistik und der zeitlichen ­Abfolge der einzelnen Arbeitsschritte ­lassen sich jedoch auch größere ­Fassa­denflächen mit Baustellen­mischungen ausführen. Das Erscheinungsbild dieser Fassaden ist in der ­Regel lohnenswert, da absolut authentisch und vergleichbar mit dem von ­historisch überlieferten Fassaden­ansichten oder Putzbefunden. Für den Ausführenden stellen derartige ­Fassaden eine echte handwerk­liche Herausforderung dar, welche uns die Leistungen unserer Altvorderen vor der Erfindung der Putzmaschine und der Fertigmischungen erahnen lassen.

Ausgabe: 4/2013