Weltraumtechnik für Altbauwände
- Erstellt: 02. August 2016
Altbauten sind schön – und schwer zu isolieren. Bei einem Forschungsvorhaben in der Schweiz wird auf der Basis von Aerogel an der Entwicklung eines neuartigen Putzes gearbeitet, der doppelt so gut isolieren soll wie die heutzutage üblichen Dämmputzsorten. Nächstes Jahr soll das Produkt auf den Markt kommen.
Eineinhalb Millionen Altbauten gibt es in der Schweiz. Mit dieser Bausubstanz muss und kann man leben. Doch zugleich steigt der Energieverbrauch der Alpennation. Viereinhalb Millionen Tonnen leichtes Heizöl und drei Millionen Kubikmeter Erdgas werden laut dem Bundesamt für Energie jährlich importiert, 43 Prozent davon sind für das Heizen durch den Schornstein. Wer fossile Energie sparen will, muss sein Haus also isolieren. Doch wie dämme ich einen historischen Altbau, ohne die historische Fassade hinter Dämmplatten zu verstecken? Das fragten sich die Forscher der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) in Dübendorf/Schweiz bei einem Forschungsprojekt, an dem sich auch die Fixit AG als Putzhersteller beteiligt.
Keine Chance für Feuchtigkeit
Um die Optik einer alten Hauswand zu erhalten, eignet sich ein Verputz am besten. Und auch beim Auskleiden von verwinkelten Treppenhäusern, Rundbögen und Stützmauern ist das Zuschneiden von Dämmplatten ein mühseliges Geschäft. »Eine Innenverkleidung aus Dämmputz lässt sich wesentlich schneller aufbringen«, so Empa-Bauphysiker Thomas Stahl. »Außerdem liegt der Putz direkt auf dem Mauerwerk auf und lässt keine Lücken, in denen Feuchtigkeit kondensieren kann.« Stahl und sein Kollege Severin Hartmeier vom Fixit-Zentrallabor haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Dämmeigenschaften von Putz auf eine neue Ebene zu heben und einen Putz zu entwickeln, der ebenso gut dämmt wie eine Polystyrolplatte. Die jahrelange Forschungsarbeit hat nun Erfolg: Das Produkt hat die Laborversuche überstanden und wird seit Juli 2012 an den ersten Gebäuden getestet. Wenn der neue Dämmputz auch im Alltag hält, was er verspricht, wird das Material im Lauf des Jahres 2013 auf den Markt kommen.
Dämmstoff aus der Raumfahrt
Was aber steckt drin im neuen Putz aus dem Empa-Labor? Stahl und seine Kollegen entschieden sich für den wohl besten Dämmstoff, der industriell hergestellt werden kann: Aerogel. Das Material, wegen seiner Optik auch als »gefrorener Rauch« bekannt, besteht zu rund fünf Prozent aus Silikat – der Rest ist Luft. Aerogel wurde bereits in den 1960er-Jahren zur Isolation von Raumanzügen eingesetzt und hält 15 Einträge im Guinness-Buch der Rekorde, darunter denjenigen als »bester Isolator« und »leichtester Feststoff«. Im Baubereich wird Aerogel bereits eingesetzt, etwa als einblasbarer Isolierstoff für Mauerzwischenräume oder in Form von Dämmplatten aus Faservlies. Warum hat noch niemand Aerogel in einen Putz gemischt?
Feines Pulver
Bauforscher Stahl spart sich eine lange Erklärung, nimmt eine durchsichtige Plastikbox aus dem Regal und öffnet den Deckel: »Fassen Sie mal rein und reiben Sie ein wenig.« Tatsächlich sind die Aerogel-Kügelchen extrem leicht, fast gewichtslos und sie lassen sich zwischen Daumen und Zeigefinger festhalten. Doch sobald man die Finger reibt, zerbröseln sie. Nach zwei, drei Bewegungen ist von dem Stoff nur noch ein feines Pulver übrig. »Genau das war unser Problem«, sagt Stahl, »wenn wir das Pulver sachte mit Wasser verrühren und den Putz von Hand auftragen, sind die Ergebnisse gut. Aber stellen Sie sich vor, der Putz wird mit einem Druck von sieben bis acht bar durch den Schlauch einer professionellen Putzmaschine gepumpt. Dann bleibt von dem Aerogel nicht mehr viel übrig.«
Dämmwerte beeindrucken
Um den Putz «Industriemaschinen-tauglich» zu machen, brauchte es einiges an Kenntnis über die Inhaltsstoffe von Trockenputzmischungen und deren Wechselwirkung mit Aerogel. Und eine Reihe von Versuchen – von der handtellergroßen Laborprobe bis zum monatelangen Bewitterungsversuch. Am Ende hatten die Forscher von Empa und Fixit eine Lösung, die demnächst patentiert werden soll.
Die Proben des Aerogel-Putzes ergaben eine Wärmeleitfähigkeit von weniger als 30 mW/(mK) – doppelt so gut isolierend wie Dämmputz, den es heute zu kaufen gibt (siehe Balkengrafik). Wenn sich die Innovation am Markt durchsetzt, hat die Empa den Schweizer Hausbesitzern etliches an Brennstoffverbrauch erspart.
Abbildungen: 1. Fixit AG 2. Empa Ausgabe: 11/2012