01. Januar 2016

Spielregeln für die Nachrüstung

Bei der Abnahme brandschutztechnischer Nachrüstungen bestehender Bauteile kommt es immer wieder zu gravierenden Problemen – wegen der schwierigen Bestandsbedingungen und auch wegen der Unwissenheit der Ausführenden. Dr. Gerd Geburtig gibt Hinweise, wie dies verhindert werden kann.

Neben der Bestimmung der für die Bauteile erforderlichen Feuerwiderstandsklasse, die in der Regel aus dem gebäudekonkreten Brandschutznachweis
beziehungsweise dem Brandschutzkonzept hervorgeht, sind bei einer brandschutztechnischen Nachrüstung vielfältige Faktoren zu beachten.
Diese reichen
•?von der konkreten Brandbeanspruchung, dem vorhandenen Baustoff und dessen Bauteilabmessungen
•?über den zu verwendenden Baustoff der Bekleidung oder Beschichtung und die Einstufung des zu verwendenden Bekleidungssystems – ent­weder nach DIN 4102-4 [1] oder nach der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung oder dem allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnis –
•?bis hin zur erforderlichen Bekleidungs- oder Beschichtungsdicke, zur geforderten Oberfläche und zu im Einzelfall notwendigen Korrosionsschutzmaßnahmen und Überprüfungen des Untergrundes.
Bei bestehenden Gebäuden sind insbesondere die in der Örtlichkeit tatsächlich vorhandenen Einbaubedingungen abzuklären. Anders als bei einem Neubau kann man bei Bestandsgebäuden nur selten davon ausgehen, dass die Bedingungen ideal sind und mit den Angaben der Herstellerrichtlinien vollständig korrespondieren. Daher ist es vor dem Abschluss eines Bauvertrages zu brandschutztechnischen Nachrüs­tungen im Bestand notwendig, die prinzipielle Durchführbarkeit der gewünschten Arbeiten zu prüfen. Wenn eine Realisierung nicht entsprechend den gültigen DIN-Regelungen möglich ist oder die Randbedingungen erheblich von den einzuhaltenden Herstellervorgaben abweichen, ist unbedingt darauf schriftlich hinzuweisen, ansonsten droht bereits in dieser Phase eine zukünftige Auseinandersetzung, die sich zur Abnahme nicht mehr vermeiden lässt.

Drei Kriterien beachten: Tragfähigkeit, Raumabschluss, Temperatur
Oft müssen wegen abweichender Verhältnisse in der bestehenden Örtlichkeit individuelle Lösungen gesucht werden, die den im Einzelfall gestellten Kriterien des Brandschutzes gerecht werden. Als wesentlicher Aspekt ist dabei zunächst die notwendige »Tragfähigkeit« einer Konstruktion auch im Brandfall zu nennen. Das bedeutet, dass diese innerhalb eines definierten Zeitraums – in der Regel 30, 60 oder 90 Minuten, ihre Tragfähigkeit nicht verlieren darf. Brandschutzkonzepte stellen immer häufiger auch auf eine Feuerwiderstandsfähigkeit von 45 Minuten ab (zwar nicht in DIN 4102 aber in TGL 10685 [2] enthalten und oftmals sinnvoll), die zum Beispiel im Additions­prinzip von einer intakten Holzbalkendecke im Zusammenhang mit einer
zusätzlichen F30-Bekleidung durchaus erreicht werden kann. Neben der Tragfähigkeit spielt das Kriterium »Raumabschluss« eine große Rolle. Dieser stellt sicher, dass über einen festgelegten Zeitraum keine Risse und Fugen innerhalb der Konstruktion entstehen und somit die Ausbreitung von Feuer und Rauch verhindert wird. Ein weiteres entscheidendes Kriterium ist das der »Temperatur«, welches von einer Konstruktion fordert, dass auf der dem Brand abgewandten Seite keine durchschnittlichen Temperaturerhöhungen von mehr als 140 K und punktuell an keiner Stelle von mehr als 180 K entstehen.
Damit alle drei benannten Kriterien auch bei nachträglichen Maßnahmen im Bestand erreicht werden, haben sich die Systemhersteller mittlerweile darauf eingestellt, die Ausführenden im Vorfeld eines Auftrages beziehungsweise auf der Baustelle kompetent zu beraten und Wege auch bei abweichenden Baustellenbedingungen gegenüber den allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassungen oder den allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnissen zu finden. Leider wird dieser Service nach Auffassung des Autors des Öfteren erst viel zu spät von den Ausführungsfirmen in Anspruch genommen oder gefordert, nämlich erst dann, wenn bereits Probleme bei der Abnahme und letztlich mit der Ver­gütung entstanden sind. In manchem Fall empfiehlt sich auch das rechtzeitige Einschalten eines Sachverständigen für eine brandschutztechnische Objekt­überwachung, der baubegleitend die mangelfreie Erstellung der Arbeiten überwacht und unabhängig dokumentiert oder Fehler bei der ebenfalls häufig anzutreffenden mangelhaften Planung der Details aufdeckt.

Brandschutztechnische Verbesserung bestehender Bauteile
Mittels nachträglicher Brandschutzmaßnahmen kann zum einen die erforderliche Feuerwiderstandsklasse, zum anderen die notwendige Baustoffeinordnung erreicht oder verbessert werden. Bei einer nichtbrennbaren Stahlkonstruktion steht dabei das grundsätzliche Erreichen einer vorgegebenen Feuerwiderstandsklasse in Abhängigkeit vom jeweiligen U/A-Verhältnis im Vordergrund, da Stahlbauteile bereits bei etwa 500 °C ihre Funktionsfähigkeit verlieren. Beim Baustoff Holz, der in Abhängigkeit von der Querschnitts­abmessung und der Holzart durchaus einen hinreichenden Feuerwiderstand hat, geht es neben einer Erhöhung des Feuerwiderstandes auch oftmals um die Baustoffeinstufung schwerentflammbar (B1 nach
DIN 4102). Gleiches trifft im Außenbereich für zunächst normalentflammbare Holzabgrenzungen an der Grundstücksgrenze zu, die wegen des gebotenen Nachbarschaftsschutzes zumindest schwerentflammbar sein müssen. Beides kann heutzutage mit modernen brandschutztechnischen Holzbeschichtungen erreicht werden.
Bestehende Stahlbetonkonstruktionen wiederum benötigen nicht selten eine Erhöhung der Überdeckung der tragenden Stähle und damit des Feuerwiderstandes von unten, während die Brandbeanspruchung von oben im Allgemeinen problemlos durch den Bestand gewährleistet wird. Diese kann sowohl durch das Auftragen einer Beschichtung als auch durch eine Bekleidung erreicht werden.
Prinzipiell stehen unabhängig vom Baustoff zwei grundlegende bauliche Ertüchtigungsmaßnahmen zur Verfügung: Bekleidungen oder Beschichtungen. Während sich die Bekleidungen durch eine weitgehende Wartungsfreiheit auszeichnen, sind Beschichtungssysteme wesentlich dünner. Alle weiteren Entscheidungskriterien wie Anwendungsbereiche, gestalterische Aspekte und die Erstellungskosten hängen vom jeweiligen Einzelfall ab und können nicht verallgemeinert werden.
Grundsätzlich gilt für jede vorgesehene Bestandsverbesserung: Vor dem Anbringen einer zusätzlichen brandschutztechnisch wirksamen Bekleidung oder Beschichtung des betroffenen Bestandsbauteils hat zuvor eine gründliche Analyse der vorgenannten Randbedingungen zu erfolgen. In Abbildung 2 ist zum Beispiel das Überprüfen der vorhandenen Betonüberdeckung vor dem Auftragen einer zusätzlichen Putzschicht zu sehen.

Nachrüstungen mit Plattenwerkstoffen
Nach DIN 18180 werden hinsichtlich des Brandschutzes Gipsplatten in Bau-, Feuerschutz-, Hartgips- und holzfaserverstärkte Feuerschutzplatten unterschieden. Bau- und Feuerschutzplatten sind mit oder ohne Imprägnierung in der Norm geregelt. Außerdem stehen Gipsfaserplatten gemäß DIN EN 15283-2 und Gipsfaserplatten mit Vliesarmierung nach DIN 15283-1 [3] zur Verfügung, die nunmehr seit Ende 2008 als geregelte Bauprodukte eingesetzt werden können. [4] Grundsätzlich eignen sich Plattenwerkstoffe besonders für die Verbesserung des Feuerwiderstandes von Bestandsbauteilen sowohl aus Stahl (generell) als auch aus Holz. Während bei Stahl in Abhängigkeit vom U/A-Verhältnis von einer generellen Eignung gesprochen werden kann,
hängen Eignung und Sinn bei hölzernen Konstruktionen entscheidend von der vorhandenen Einbausituation und von den Querschnittsabmessungen der zu schützenden Hölzer ab.

Nachträgliches Verputzen
In Abschnitt 3.1.6 von DIN 4102-4 [1] sind Regelungen hinsichtlich des Brandschutzes zur Ausführung von Putzbeschichtungen auf verschiedenen Baukonstruktionen wie Decken, Wänden, Balken, Stützen und Trägern enthalten. Diese werden auch in der in diesem Jahr neu erscheinenden DIN 4102-4 vergleichbar bestehen bleiben. Mit einer Putzbeschichtung kann je nach unterschiedlicher Dicke der notwendige Feuer­widerstand des Bauteils erreicht werden. Wenn eine Leistung in dieser Hinsicht pauschal ausgeschrieben wird, wie zum Beispiel »Ertüchtigung der Stahlbetondecke auf F90«, ist demzufolge die jeweils auf die Konstruktionsart zutreffende Tabelle von DIN 4102-4 einzusehen und die notwendige Dicke einer Putzbeschichtung zu ermitteln. Anhand dieser Angaben kann die erforderliche Putzdicke je nach gewählter Ausführungsart (Putz mit oder ohne Putzträger beziehungsweise auf Holzwolle-Leichtbauplatten) bestimmt werden.

Bekleidungen mit Steinwolleplatten
Auch mit anderen plattenartigen Baustoffen wie Steinwollplatten nach DIN EN 13162 [5] und DIN 4102 kann der Feuerwiderstand von Bestandsbauteilen, insbesondere von Stahlträgern und Stahlbetondecken bis zur Feuerwiderstandsklasse F180 erhöht werden. Sie können als unkaschierte Variante oder mit einseitig gitternetzverstärkter Aluminiumfolie kaschiert eingesetzt werden. Bei Stahlbetondecken erreicht man mit dem Einsatz der Platten einen brandschutztechnischen Ausgleich bei nicht ausreichender Stahlüberdeckung der tragenden Stähle auf der biege­beanspruchten Unterseite. In Abbildung 5 ist das nachträgliche Anbringen von Steinwolleplatten zur Erhöhung der Feuerwiderstandsfähigkeit von Deckenplatten und Stahlträgern zu sehen, das vor dem Einbau der Trockenbauunterdecke ohne Brandschutzanforderungen erfolgte.

Beschichtungssysteme
Mittlerweile liegen für Bauteile aus Stahl, Gusseisen, Beton und Holz dünnschichtige, dämmschichtbildende Brandschutzbeschichtungssysteme vor, zum Teil bis zur Klassifikation F90.
Diese können entweder die Einstufung von Holz und Holzwerkstoffen (nunmehr auch im Außenbereich) in die Baustoffklasse B1 ermöglichen oder den Feuerwiderstand von Bauteilen aus Stahl und von Anschlussfugen bei Beton- oder Mauerwerkskonstruktionen bis zur Brandschutzklassifikation F90 erhöhen. Besonders wichtig ist es beim Einsatz derartiger Beschichtungssysteme, das U/A-Verhältnis der stählernen Bestandskonstruktion zu ermitteln und vorhandene Altbeschichtungen mittels Haftungstest und Brandprobe auf ihre Verträglichkeit zu überprüfen. Außerdem sind Aussagen über den Korrosions­schutz und eventuelle Beschädigungen des Bestandsbauteiles zu treffen. Alle entsprechenden Ergebnisse der Bestandsuntersuchungen sind schriftlich zu dokumentieren.

Notwendige Dokumentation der Ausführung
Besonders wichtig für eine erfolgreiche Abnahme von brandschutztechnischen Nachrüstungsmaßnahmen ist es, sich im Vorfeld der Ausführung mit den Randbedingungen des jeweiligen Verwendbarkeitsnachweises auseinander­zusetzen. Spätestens zur Abnahme muss der Errichter der Brandschutzmaßnahme das genaue Einhalten der Vorgaben der jeweiligen allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung (abZ) beziehungsweise des allgemeinen bauaufsichtlichen Prüfzeugnisses (abP) nachweisen können. Das betrifft sowohl die Übergabe einer ordnungsgemäß aus­gefüllten Übereinstimmungserklärung gemäß abZ/abP als auch bei Bedarf zusätzlich das Überbringen von Protokollen von durchgeführten Bestandsunter­suchungen, von Baustellenmessungen oder von schriftlichen Erläuterungen zu notwendigen Folgekontrollen bei brandschutztechnischen Beschichtungen. Eine fälschlich ausgefüllte Über­einstimmungserklärung wird heutzutage völlig zu Recht in der Regel als Betrugsversuch des Ausstellenden gewertet. Mit fatalen Folgen: Die Leistung wäre dann nachzubessern und für Folge­schäden wie Bauverzug könnte man auch noch in Anspruch genommen werden!

Literatur
[1]?DIN 4102: Brandverhalten von Baustoffen und Bauteilen
Teil 1: Baustoffe; Begriffe, Anforderungen und Prüfungen, Berlin 05/1998
Teil 4: Zusammenstellung und Anwendung klassifizierter Baustoffe,
[1]?Bauteile und Sonderbauteile, Berlin 03/1994
[2]?TGL 10685: DDR-Standard Bautechnischer Brandschutz, TGL 10685/01 bis /13 in: Geburtig, G., Baulicher Brandschutz im Bestand – Beurteilung vorhandener Bausubstanz, Berlin 2010, 2. Aufl.
[3]?DIN EN 15283: Faserverstärkte Gipsplatten – Begriffe, Anforderungen und Prüfverfahren
Teil 1: Gipsplatten mit Vliesarmierung, 05/2008
Teil 2: Gipsfaserplatten, 05/2008
[4]?Wachs, P.: Brandschutz im Detail, Band 1 – Trockenbau, Planung – Ausführung – Bauleitung, Köln 2009
[5]?DIN 13162: Wärmedämmstoffe für Gebäude – Werkmäßig hergestellte Produkte aus Mineralwolle (MW) – Spezifikation; Deutsche Fassung EN 13162:2008, 02/2009

Abbildungen: Geburtig                                                                                                                      Ausgabe: 1/2013