01. Januar 2016

Klinkeroptik im Industriedesign

Das »Kraftwerk« ist ein modernes Bürogebäude im schweizerischen Wil. Es wurde in der ­Tradition von Industrie- und Lagerbauten entworfen, doch was dem Gebäude seine ­spezielle Ausstrahlung verleiht, ist die Klinkerfassade aus schwarzen und grauen Steinen.

Die Kleinstadt Wil mit rund 17200 ­Einwohnern liegt im Schnittpunkt ­zwischen Zürich und St. Gallen — sie ist Einkaufs-, Kultur- und Wirtschafts­zentrum einer kantonsübergreifenden Region mit über 110000 Menschen. ­Bekannt ist Wil durch seine geschlos­sene Altstadt, die am Besten erhaltene der Ostschweiz. Im Jahre 1984 wurde Wil vom Schweizer Heimatschutz mit dem Wakker-Preis für die nachhaltige und sorgfältige Pflege der überlieferten Bausubstanz ausgezeichnet.

Eigenwilliges Bauwerk
Seit kurzem ist das schweizer Städtchen um eine architektonische Attrak­tion reicher: Nahe des Bahnhofs, ­zwischen Bahnlinie und Straßen, wurde ein hochmodernes Bürogebäude, das ­sogenannte »Kraftwerk«, errichtet. Mit zwei aneinander gebauten Quadern in unterschiedlicher Höhe ist das Bauwerk des Wiler Architekten Roger Edelmann eigenwillig und zieht die Blicke auf sich. Markant sind auch die hohen Bogenfenster, die viel Licht in das Gebäude lassen. In seiner Formensprache nimmt das Gebäude, in dem ein Fitnesscenter, ein Finanzplaner und das Architekturbüro von Edelmann untergebracht sind, Bezug auf die örtliche Bautradition. ­

Hoher Bekanntheitsgrad
Roger Edelmann erläutert: »Ich habe das Objekt in der Tradition von Industrie- und Lagerbauten konzipiert. Das Zusammenspiel von Halle und Kopfbau ist von englischen Powerplants inspiriert.« Auf den ersten Blick könnte das Kraftwerk ein Bahnhofsgebäude oder ein Elek­trizitätswerk aus der Gründerzeit sein. Roger Edelmann war es sehr wichtig, dass das Gebäude einen passenden ­Namen bekam. Bereits ein Jahr nach Fertigstellung genießt das Kraftwerk ­einen hohen Bekanntheitsgrad. Ein markanter Pylon markiert den Eingangs­bereich: In der Form eines Buchrückens mit Spiralfederbindung, einem Logo und dem Schriftzug »Kraftwerk« zieht er die Blicke auf sich. Doch was dem gesamten Gebäude seine spezielle Ausstrahlung verleiht, ist die Klinkerfassade aus zufällig angeordneten, schwarzen, ­anthrazitfarbenen und grauen Steinen. Es sind keine massiven Klinkersteine — das fällt nicht einmal bei genauer ­Betrachtung auf — sondern schmale Flachverblender.

Sonderanfertigung nach Maß
»Ich wollte eine dunkle Fassade haben. Dadurch können wir das vertraute Bild der braunen Klinkerfassaden durch­brechen und so die Aufmerksamkeit subtil auf das Kraftwerk lenken. Dies funktioniert in der Schweiz, weil bei uns traditionell nur bräunliche Klinker verwendet werden«, sagt Roger Edelmann. Das Vorhaben drohte aber anfänglich zu scheitern: Der Einsatz von ­echten ­Klinkerriemchen in Schwarz ­hätte zu viele Dilatationsfugen erfordert, als dass das Mauerwerk noch kraftvoll ausgestrahlt hätte. So kam Roger Edelmann auf die Meldorfer Flachverblender von Caparol. Diese vier bis sechs ­Millimeter dicken, klinkerartigen, handgeformten Putzteile bestehen überwiegend aus ­mineralischen Grundstoffen. Die ­dunklen Flachverblender sind eine ­Sonderanfertigung: Als Vorlage dienten Massivklinker, die durch den Brand von Haus aus einen gewissen Glanz haben. Die Caparol Farben AG beauftragte die Sonderanfertigung im Flachverblenderwerk in Meldorf, wo diese in den ­gewünschten Farbtönen und dem Glanz der Originale eigens für das Kraftwerk angefertigt wurden. »Die ­genauen Farbnuancen sowie den Glanz der Originalklinker zu treffen war eine Herausforderung. Doch wir konnten Herrn Edelmann mit unsern Mustern über­zeugen«, so Caparol-Bezirksleiter René Amstad.

Sehr gute Wärmedämmung
Durch die Klinkeroptik wirkt das ­Gebäude bodenständig und natürlich. Die Gebäudesprache aber ist hoch­modern, die willkürliche Anordnung aus 50 Prozent schwarzen, und je 25 ­Prozent schwarzgrauen und grauen Klinkern mit Glanzüberzug gibt dem Ganzen einen natürlichen Touch. Und die energetische und ökologische Ausrichtung ist auf dem neuesten Stand. Die Verbindung dieser Aspekte ist dem Architekten sehr wichtig. Das Energiekonzept des Kraftwerks basiert auf einer Holzpellets­heizung und einer Photovoltaikanlage. Die Pellets werden im ­Inneren des mächtigen Pylons gelagert, der als Silo für 20 Tonnen konzipiert wurde. Darunter, mit direkter Anbindung, befindet sich der Heizkessel. In dem Fitness­center, das im Kraftwerk ­integriert ist, erzeugen die Sportgeräte die ­Energie für ihre Bildschirme selbst. Das Fitnesscenter ist das einzig CO2-neutrale in der Schweiz.
Beim Energiekonzept spielt die Energieeinsparung durch Wärmedämmung eine entscheidende Rolle. Die gesamte ­Gebäudehülle wurde mit einem ­Wärmedämm-Verbundsystem (WDVS) versehen, das sich unter den Flachverblendern ­befindet. Die Capatect Dalmatiner ­Fassadendämmplatten 032 von Caparol, die den Richtlinien der Energieeinsparverordnung entsprechen, ­wurden mittels Capatect Klebe- und ­Armierungsmasse 186 M auf die Betonwände aufgebracht. Die verarbeitungsfreundliche ­Capatect Dalma­tiner Fassadendämmplatte sorgt für ­eine sehr gute  Wärmedämmung des ­Gebäudes. Statt des üblichen Fassadenputzes kamen auf die Dämmung die Meldorfer Flachverblender. Die Flachverblender sind trotz ihrer ­geringen Dicke äußerst strapazier- und widerstandsfähig. Darüber hinaus sind sie ­witterungs- und UV-beständig.

Carbon-System für hohe Ansprüche
Da die dunkelfarbigen Verblender einen tiefen Hellbezugswert haben, unterliegt das Wärmedämm-Verbundsystem hohen thermisch-physikalischen Belastungen. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, entschieden sich die Bauverantwortlichen für die stabile Armierungsmasse Capatect Carbo Nit. Diese zweikomponentige Armierungsmasse ist mit Carbonfasern verstärkt. Die Kohle­fasern können Spannungen, die durch starke Temperaturunter­schiede ent­stehen, aufnehmen und die Gefahr von Rissbildungen im ­WDVS verhindern. Auf die Polystyrolplatten kam eine Doppel-armierung, das heißt zwei Lagen Armierungsgewebe wurden in die insgesamt acht Millimeter dicke Capatect Carbo Nit-Armierungsschicht einge­bettet.
Da das Kraftwerk ein Pilotprojekt in der Schweiz ist, war eine enge Zusammenarbeit der Handwerker des Gipser­geschäfts Mondi (Bazenheid) mit dem Caparol-Anwendungstech­niker Gerhard Hell und René ­Amstad erforderlich. Die Mitarbeiter wurden geschult und vor Ort betreut. »Die Flachverblender sind einfach zu verarbeiten. Sie wiegen nur fünf bis sechs Kilogramm pro Quadratmeter. Für die Handwerker war es ­gewöhnungsbedürftig, die verschiedenfarbigen Steine nach dem Zufallsprinzip aus einem Haufen zu ent­nehmen und anzubringen, aber das hat sich mit der Zeit eingespielt«, so Roger Edelmann.

Klinkeroptik beeindruckt
Die Meldorfer Flachverblender der ­Fassade wurden auch im Innenbereich als Gestaltungselement eingesetzt. Sie stehen im Kontrast zu dem farbenprächtigen Schiffscontainer aus ­Amerika, der als Raumteiler und Stau­fläche dient. Innen wurden die Klinker direkt auf den Stahlbeton geklebt, ­wodurch die Oberfläche wie ­eine echte Klinkerwand aussieht und sich auch so anhört, wenn man ­dagegen klopft.
Chromstangen im Treppenhaus, Par-Scheinwerfer und Traversen wecken Eindrücke an eine Theaterbühne oder an ein Filmset. Architekt Roger Edelmann hat das Kraftwerk in Zusammenarbeit mit der in Los Angeles lebenden Künstlerin Kim Tolmann entwickelt, einer ­erfolgreichen Bühnendesignerin. René Amstad: »Das Kraftwerk ist ein voller Erfolg, es war das erste größere Objekt mit Meldorfer Flachverblendern in der Schweiz, seitdem konnten wir schon weitere ­Gebäude mit den Flachverblendern verkleiden.«

Abbildungen: Arson AG                                                                                                          Ausgabe: 2/2012