04. April 2017

Die Lösung für EPS- und XPS-Abfälle

Entsorgung von EPS-Dämmstoffplatten aus dem Abriss alter WDVS gelten übergangsweise länderspezifische Regelungen
Fotos 1 + 2: Fachverband WDVS

Die Entsorgungsfrage bei den Dämmstoffen ist nur vorübergehend gelöst. Für eine dauerhafte Lösung der Dämmstoffentsorgung bietet sich das »Creasolv«-Verfahren an, für das in den  Niederlanden derzeit eine Pilotanlage entsteht, die Mitte 2018 betriebsbereit sein soll. Über den aktuellen Stand informiert Sie Bettina Hahn.

Die Frage der Dämmstoffentsorgung aus expandiertem Polystyrol (EPS) und extrudiertem Polystyrol (XPS) hat sich nach dem 1. Oktober 2016 verkompliziert. Zu diesem Termin griff die gesetzliche Änderung der Verordnung (EU) 2016/460 der Europäischen Kommission vom 30. März 2016, die sich auf die Anhänge IV und V der Verordnung (EG) Nr. 850/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates über persistente organische Schadstoffe (POP-VO) bezieht.

Dies bedeutete konkret: HBCD-haltige Abfälle, die eine Konzentrationsgrenze von 1000 mg/kg erreichten oder überschritten, galten gemäß der Verordnung über das Europäische Abfallverzeichnis als »gefährliche Abfälle«. Damit sollte sichergestellt werden, dass die darin enthaltenen Schadstoffe zerstört oder unumkehrbar umgewandelt werden. Dies sollten entsprechende Entsorgungsnachweise dokumentieren.

Werden gefährliche Abfälle mit nicht gefährlichen Abfällen vermischt, ist zunächst grundsätzlich anzunehmen, dass das gesamte Abfallgemisch als gefährlicher Abfall zu entsorgen ist. In der Praxis führte dies dazu, dass nach dem 1. Oktober 2016 Dämmstoffabfälle von Müllverbrennungsanlagen nicht mehr angenommen wurden – sogar unabhängig davon, ob sie HBCD-haltig waren oder nicht. Diese Änderung der Abfallbewertung löste in allen 16 Bundesländern unmittelbar einen »Entsorgungsnotstand« hinsichtlich der Entsorgung von EPS- und XPS-Dämmstoffen, darüber hinaus auch von anderen Dämmstoffen aus, die vor allem beim Rückbau von Wärmedämm-Verbundsystemen (WDVS) und Flachdachdämmungen anfielen; zusätzlich zeichnete sich ein Sanierungsstau der Gebäude ab, da die Entsorgung der rückgebauten Dämmstoffe ungewiss und stellenweise mit hohen Kosten verbunden war.

Einjährige Ausnahmeregelung durch den Bundesrat

Das Bundeskabinett stimmte dem Bundesrats- Beschluss 752/16 unmittelbar zu. Damit wurde eine Übergangsfrist von einem Jahr geschaffen, in der die Abfallverzeichnis-Verordnung dahingehend geändert wurde, dass die Entsorgungssituation übergangsweise dem Stand vor dem 1. Oktober 2016 entspricht. In der Zwischenzeit sollen durch Bund, Länder und die Wirtschaft einheitliche Lösungen erarbeitet werden, welche einerseits der abfallrechtlich geforderten Nachweispflicht gerecht werden, andererseits für die am Wirtschaftsgeschehen Beteiligten ohne Mehraufwand in der Praxis umzusetzen sind.

EPS-Dämmstoffplatten wurden und werden in unterschiedlichen Qualitäten und Farben angeboten: überwiegend weiß oder grau, teilweise auch mit farbigen Kugeln versehen. EPS-Dämmstoffe der Mitglieder des Industrieverbands Hartschaum (IVH) enthalten seit Ende 2014 das neue Flammschutzmittel Polymer-FR, welches das inzwischen verbotene HBCD ersetzt hat. Diese neueren Dämmstoffe fallen ohnehin nicht unter die Änderung des Abfallschlüssels.

Derzeit entstehen im Zusammenhang mit WDVS mehrheitlich Dämmstoffabfälle aus HBCD-freiem Verschnitt. Der Grund dafür liegt in der wesentlich längeren Lebenserwartung der Systeme als das heute fälschlicherweise vielfach noch angenommen und dargestellt wird. Das Fraunhofer-Institut untersucht seit den 1970er-Jahren in regelmäßigen Abständen Gebäude, deren Fassaden mit WDVS versehen sind. Der letzte Untersuchungsbericht aus dem Jahr 2015 (HTB-06/2015) bestätigt die Langzeitbewährung von WDVS und kommt zu dem Fazit, dass mit WDVS gedämmte Fassaden in punkto Wartung und Lebensdauer vergleichbar sind mit verputzten Fassaden. Die Erfahrungen aus der Praxis unterstreichen das.

Vermeiden und Aufdoppeln ist besser als Abriss

Sowohl bei Dämmstoffabfällen aus Verschnitt wie auch beim Rückbau ist zusätzlich zu unterscheiden, ob diese

  •  als reiner Dämmstoff (Monofraktion) oder
  •  als gemischte Abfälle (Dämmstoffe mit anhaftenden Kleber-/Putzresten, Dämmstoffe gemischt mit weiteren Bauabfällen)

gesammelt und bei den Müllheizkraftwerken angeliefert werden. Aus diesem grundlegenden Unterschied leiten sich die jeweiligen Abfallschlüssel und Entsorgungshinweise ab. Weil nun aber Abfallentsorgung Ländersache ist, bestehen derzeit in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche  Regelungen. Welches Land welche Hinweise und Erlasse aufgestellt hat, kann man auf der Homepage des Industrieverbands Hartschaum (IVH) unter www.ivh.de  nachlesen.

Gemäß Kreislaufwirtschaftsgesetz steht in der fünfstufigen Abfallhierarchie die Vermeidung an erster Stelle. Für WDVS kann das zum Beispiel das Aufdoppeln eines bestehenden Systems mit einer weiteren Lage WDVS bedeuten. Eine Methode, die in Zukunft ganz bestimmt zunehmend an Bedeutung gewinnt. Dabei wird nach entsprechenden Vorprüfungen und Untersuchungen auf eine gedämmte Fassadenfläche ein zusätzliches WDVS aufgebracht. So wird die Dämmleistung des Gesamtsystems ertüchtigt und gleichzeitig – sofern gewünscht – das Aussehen der Fassade verändert oder erneuert. Diese Form der Fassadensanierung besteht mit der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung Z-33.49-1505 des Fachverbands WDVS schon länger.

Die Studie von Dr.-Ing. Klaus-Dieter Clausnitzer, Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM) in Bremen, die den Titel »Nachdämmung (Aufdopplung) alter Wärmedämm-Verbundsysteme an Wohngebäuden« trägt, zeigt das Potenzial sowie die mit einer Aufdopplung verbundenen Möglichkeiten insbesondere im Hinblick auf Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit auf (Beitrag in ausbau + fassade 10/2016 und InfoPlus). Die Unter­suchung ergab, dass bei knapp 500 Mio. m² Wandfläche der Wärmeschutz des Alt-WDVS aus heutiger Sicht unzureichend ist. Dies betrifft somit rund zirka 47,5 Prozent aller Wandflächen, die bis 2015 mit einem WDVS gedämmt wurden. Zur Erreichung der Klimaschutzziele für 2030 und 2050 eröffnet sich damit ein umfangreiches Tätigkeitsfeld in den nächsten Jahrzehnten. Da nicht bei jedem Gebäude das WDVS aufgedoppelt werden kann, gehen die Autoren der Studie von einem realistischen Potenzial von rund 417 Mio. m² aufdoppel­barer Wandfläche aus.

Der Forschungsbericht führt auch die Gründe auf, weshalb sich Hausbesitzer und Eigentümer für eine Aufdopplung entschieden haben. Verschiedenste Praxis­beispiele und -erfahrungen von Gebäudeeigen­tümern bestätigen die Dauerhaftigkeit sowie die Akzeptanz und Zufriedenheit insbesondere in Punkto Wirtschaftlichkeit.

Der EPS-Müllberg ist immer noch kleiner als die Verbrennungskapazität

Sofern eine Aufdopplung nicht möglich ist und die gedämmte Wandfläche rückgebaut werden muss, gibt es verschiedene Vorgehensweisen und Verwertungsmöglichkeiten von EPS-Dämmstoffen. Da das Flammschutzmittel HBCD gemäß EU-POP-Verordnung nicht mehr in den Verkehr gebracht werden darf und somit auch keine Chance mehr besteht, die Dämmstoffe als Recycling-Zugabestoff für verschiedene Zwecke zu verwenden, ergeben sich nur eingeschränkte Verwertungsarten – je nach Dämmstoffart und dessen Abfallschlüssel (Tabelle unten).

Bei vorangegangenen Untersuchungen in der Abfallverbrennungsanlage für kommunale Abfälle der Stadt Würzburg wurde die Mitverbrennung von HBCD-haltigem EPS und XPS ausführlich analysiert und dokumentiert. Aus dem technischen Bericht von »Plastics Europe« (Verband der Kunststofferzeuger: »Verwertung von Polystyrol Schaumstoffabfällen mit HBCD«) geht hervor, dass bei der thermischen Verbrennung das HBCD-Flammschutzmittel und damit seine toxische Wirksamkeit vollständig zerstört werden. Die energetische Verwertung wird auch im Bericht Nr.: BBHB 019/2014/281 des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP beschrieben. Erläuternd hierzu führen die Autoren bereits Ende 2014 dazu aus, dass bei einer Jahreskapazität aller Müllverbrennungsanlagen in Deutschland von rund 20000 kt und einer zu Grunde gelegten Mitverbrennungsquote an EPS-/XPS-Dämmstoff-Abfällen von 1 Gew.-% bis 2 Gew.-% jährlich zwischen 200 kt und 400 kt energetisch verwertet werden könnten – gleichgültig ob HBCD-haltig oder nicht.

Dem gegenüberzustellen ist die Menge des Abfallaufkommens an EPS- und XPS-Dämmstoffen, die laut der Studie des Fraunhofer-Instituts in Deutschland im Jahr 2012 basierend auf den Angaben des statistischen Bundesamtes anfielen. Diese beinhalten auch andere Dämmstoffabfälle als WDVS, zum Beispiel Flachdachdämmungen. Trotz vergleichsweise geringer Abfallmengen sind dennoch in der Baupraxis umsetzbare Lösungen erforderlich.

EPS: Stoffliches Recyceln in den Startlöchern

Neben der energetischen Verwertung der Dämmstoffabfälle steht auch das stoffliche Recyceln zeitlich absehbar in den Startlöchern. Bereits vor mehr als zehn Jahren beschlossen das Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV) in Freising und die Creacycle GmbH in Grevenbroich ihre Erfahrungen und ihr Fachwissen in Sachen Kunststoff-/Wertstoff-Recycling zu bündeln und eine Kooperation zu gründen. Daraus hervor ging ein vielversprechendes Verfahren, das darauf basiert, auf den Abfall abgestimmte, umweltverträg­liche Lösungsmittel die einzelne Bestandteile zu extrahieren und dabei gleichzeitig Fremdmaterialien wie zum Beispiel das HBCD- oder auch Polymer-FR-Additiv und sonstige Störstoffe zu separieren. Anschließend wird die vorbereitete Lösung mittels weiterer chemischer Vorgänge ausgefällt und getrocknet. Bei diesem Verfahren kann aus den EPS- und XPS-Abfällen das ursprüngliche Styrol-Acrylat in hoher Qualität zurückgewonnen werden, um daraus wieder neue Dämmplatten zu produzieren. Darüber hinaus werden die dabei gewonnenen Flammschutzmittel in einer gesonderten Anlage ebenfalls aufbereitet. Dabei kann das enthaltene Brom zurückgewonnen werden.

Im Oktober 2015 wurde von einem Konsortium, in dem Personen der gesamten EPS-Wertschöpfungskette vertreten sind, der gemeinnützige Verein »Polystrene Loop« gegründet. Ziel ist es, in den Niederlanden die erste Pilotanlage für das Creasolv-Verfahren zu errichten. Der Fachverband WDVS sowie sein europäischer Dachverband EAE unterstützen das Projekt. Die Anlage soll Mitte 2018 betriebsbereit sein und eine Recycling-Kapazität von ungefähr 3000 Tonnen pro Jahr aufweisen. Sobald erste praktische Erfahrungen mit den technischen und logistischen Abläufen vorliegen, können »praxiserprobte« Angaben über Arbeitsabläufe und Kalkulationsgrundlagen für einen WDVS- oder IDS-Rückbau gemacht werden.

Mit diesen Erfahrungen und den erforderlichen Rückbaumengen können schließlich europaweit weitere Werke entstehen und ihren Beitrag zum Umweltschutz und zur Nachhaltigkeit leisten. Der IBP-Bericht BBHB 019/2014/281 prognostiziert mittel- bis langfristig zunehmende Rückbaumengen. Eine wesentliche Rolle dürfte dabei künftig der Totalabbruch von Gebäuden spielen, die dann auch zunehmend über gedämmte Fassaden verfügen.

Im Vorgriff darauf engagiert sich der Fachverband WDVS bereits seit vielen Jahren und mit unterschiedlichen Teilaspekten für den Lebenszyklusgedanken. Ziel ist es, frühzeitig für die verschiedenen WDVS-Varianten und in Abstimmung mit den Partnern entlang der Prozesskette geeignete Lösungen für das Ende des Lebenszykluses bereitzuhalten.

Bettina Hahn, Referentin Technik, Fachverband WDVS

 

Ausgabe 04 / 2017

Artikel als PDF herunterladen:

Herunterladen