»Neue Galerie« — innen ganz neu
- Erstellt: 04. August 2016

Im Rahmen eines hessischen Investitionsprojektes findet derzeit eine grundlegende Neuordnung und Sanierung der Kasseler Museen statt. Die »Neue Galerie« wurde als erstes Projekt fertiggestellt.
Die Außenhülle der »Neuen Galerie« in Kassel blieb im Stil der Neorenaissance weitgehend unverändert, doch im Inneren präsentiert sich dem Besucher ein völlig neues Museum der Moderne. Die Putzarbeiten bei dem historischen Gebäude führte die sächsische Firma Fuchs + Girke Bau und Denkmalpflege GmbH aus, ein Unternehmen der Wernergruppe mit Sitz in Kalbach bei Fulda.
Das zweigeschossige Gebäude wurde zwischen 1871 und 1877 nach den Plänen des Architekten Heinrich von Dehn-Rotfelser errichtet, um angemessene Räume für die berühmte Gemäldesammlung des Landgrafen Wilhelm VIII. von Hessen Kassel zu schaffen. Nach dem Vorbild der Alten Pinakothek in München erhielt das Kasseler Galeriegebäude – wenn auch insgesamt deutlich kleiner dimensioniert – einen zentralen Mitteltrakt im Erdgeschoss und Obergeschoss, sowie seitlich angeordnete Lichtkabinette.
Baugeschichte
Im zweiten Weltkrieg zerstörte eine Bombe den östlichen Eckpavillon mit dem großzügigen und prächtig ausgestatteten Treppenhaus. Das Innere des Gebäudes brannte zum großen Teil aus. Nur die Außenmauern blieben weitgehend erhalten. Erst ab 1965 begann der schrittweise Wiederaufbau der Ruine, bis zur Eröffnung 1976. Eine der wesentlichen Änderungen des damaligen Nutzungskonzeptes bestand darin, die zerstörte Haupttreppe vom östlich gelegenen »Kopfbau« (Eingangsbereich) in den Mittelbau zu versetzen.
Zeitgemäßes Museum
Bei der aktuellen Generalsanierung nach den Plänen des Berliner Architekturbüros Volker Staab galt es vor allem, den technischen und gestalterischen Anforderungen an ein modernes Museum gerecht zu werden und zugleich den ursprünglichen Charakter des historischen Gebäudes wieder klarer hervorzuheben. Bauleiter Dietmar Wagner von der Fuchs + Girke GmbH ist begeistert von der architektonischen Umgestaltung der Innenräume: »Alle Wände sind ohne Kanten und Schnörkel, alles ist winklig gearbeitet. Dadurch wirken die Räume optisch viel größer als sie tatsächlich sind. Bestärkt wird dieser Eindruck durch den optischen Übergang der Wandflächen zum Fußboden«, so Dietmar Wagner, Abteilungsleiter für Putz und Stuck.
Der einheitliche Fußbodenbelag aus hellgrauem, geschliffenem Beton mit Zuschlägen aus hellem Carrara-Marmor erstreckt sich vom Foyer über die Treppen durch alle Ausstellungsbereiche und verbindet sie zu einer räumlichen Einheit. Auch die Brüstungen im Treppenaufgang sind in geschliffenem Sichtbeton belassen; »als würden sich die Brüstungen aus dem Material der Treppenstufen heraus entwickeln«, erklärt Architekt Per Petersen die Idee. Handläufe und sämtliche Einbauten im Foyerbereich wurden in heller Räuchereiche ausgeführt und setzten sich optisch von den übrigen Flächen ab. Entsprechend zeitgemäßer Anforderungen entwickelten die Planer unter anderem ein aufwendiges Sicherheitskonzept sowie umfassende Brandschutzmaßnahmen. Für die Handwerker galt es immer wieder, Abläufe flexibel zu gestalten und sich auf vielfältige Aufgaben einzustellen, erinnert sich Dietmar Wagner: »Das Zusammenspiel zwischen technischem und Ausbau-Gewerk musste immer wieder gut koordiniert werden. Technisch verbirgt sich da einiges an Kabeln und Versorgungsleitungen, die niemand sieht und auch nicht sehen soll. Und die alle sinnvoll und gut zu verstecken, das war eine spannende Aufgabe.«
Speichermasse
Die aus der Umbauzeit in den 1960er- und 1970er-Jahren stammenden Leichtbauwände aus Gipskarton wurden vollständig entfernt und durch massiv gemauerte Wände ersetzt. Durch deren Speicherfähigkeit lassen sich stärkere Temperaturschwankungen vermeiden. »Es gibt nur noch ganz wenig Leichtbau im Haus, so dass die Wände das Klima im Gebäude möglichst konstant halten können – über die Massivität«, erläutert Per Pedersen. Entsprechend statischer Erfordernisse und je nach vorgefundenem Grundmaterial verwendeten die Handwerker Hohlblockziegel, Kalksandsteine oder Beton, anschließend verputzten sie die Flächen.
Für ein modernes Museum besteht die Anforderung, die Bilder auf einer ruhigen, homogenen Wand zu hängen, um den Fokus des Betrachters auf das Bild zu lenken. Da die bestehenden massiven Wände zum großen Teil nicht exakt lotrecht errichtet waren, glichen die Putzer diesen Mangel mit entsprechenden Schichtdicken aus. »Dies war nur durch lange Zwischenstandzeiten der einzelnen Putzlagen technisch möglich, was mit einem ständigen Arbeitsplatzwechsel innerhalb des Objektes verbunden war«, so Bauleiter Dietmar Wagner.
Farbkonzept
Abschließend sind alle verputzten Flächen gestrichen. Eine auf die Ansprüche der Sammlung fein abgestimmte Variation von Weiß und Grau bestimmt das Bild. In großen Bereichen wie dem Foyer oder den hellen Oberlichtsälen im Obergeschoss wählten die Planer einen gebrochenen weißen Grundton. In den Kuppelräumen des Erdgeschosses bildet der dunkelste Grauton einen warmen Kontrast zu den Goldrahmen der Kunst des 19. Jahrhunderts. Die übrigen Bereiche sind in einem hellen Grauton gehalten. Herzstück und zugleich Höhepunkt sind die zentralen Oberlichtsäle im Obergeschoss mit den neuen Lichtdecken.
Neue Dachkonstruktion
Das alte Stahldach war außen auf der Glasebene mit völlig vergilbten Plas-tikscheiben, sogenannten Stegplatten, belegt. Die historische Struktur war nicht tragfähig genug und musste den statischen Erfordernissen entsprechend durch eine neue Konstruktion aus Stahlfachwerkbindern ersetzt werden, an denen die Zwischenebene zwischen Ausstellungsraum und Dachraum abge-hängt wurde. Diese Ebene erfüllt hauptsächlich die Aufgabe, das zu klimatisierende Raumvolumen zu reduzieren und den Dachraum thermisch vom Ausstellungsraum zu trennen. Der Dachraum dient vor allem im Sommer als Pufferzone und trägt so auch zur Reduzierung der Betriebskosten bei. Schließlich folgt abschließend die in den Ausstellungsräumen sichtbare Staubdecke. Die satinierten Kunststoffscheiben der Lichtdecken sorgen dafür, dass die Qualität des Tageslichtes erhalten bleibt, gleichmäßig streut und so für optimale Lichtverhältnisse sorgt.
Fazit
Obgleich die vorhandene Architektur scheinbar wenig Freiraum für eine Umgestaltung zu einem zeitgemäßen Museumsbau ließ, gelang es, das vorhandene Potential auszuschöpfen und den originären Charakter des Gebäudes wieder deutlicher hervorzuheben. Es hat sich auf eindrucksvolle Weise gezeigt, dass die historisch überlieferte Struktur auch für die Präsentation moderner Kunst funktioniert. Die klare, architektonische Linienführung in Verbindung mit einem gelungenen, in sich stimmigen Licht- und Raumkonzept macht den Museumsbesuch zum genussvollen Kunst-Erlebnis. »Eine wunderbare ›alte Dame‹ mit neuem Innenleben«, sagt Dietmar Wagner mit einem Augenzwinkern.
Anne Fingerling,
Fachjournalistin
Abbildungen: MHK/Huthmacher Ausgabe: 5/2012