Beam it up, Stucki!
- Erstellt: 16. August 2016

Eine innovative Lösung für die althergebrachte Sgraffito-Technik hat Michael Christmann entwickelt. Der Geschäftsführer des Bonner Stuckateurunternehmens Belz GmbH konnte seine Idee in der Märchensiedlung in Köln-Worringen umsetzen – und sparte dabei einen Arbeitsgang.
Mitten in der dunklen Nacht, kurz vor Neumond, ist ein Hausgiebel an der Alten Neusser Landstraße im Kölner Stadtteil Worringen hell erleuchtet. Hier wird gearbeitet. Aus einem Kleintransporter heraus wirft ein Beamer sein grelles Licht auf eine Häuserfront mit einem Gerüst. Dort arbeiten Stuckateure bis zum Morgengrauen. Ihre Aufgabe ist es, aus dem Putz ein Bildmotiv herauszukratzen. Anwohner bringen Kaffee zur Aufmunterung. Ein Streifenwagen der Polizei informiert sich.
Bis vor Kurzem konnten nur noch ältere Leute und Heimatforscher erklären, wie die Märchensiedlung in Köln-Worringen zu ihrem Namen gekommen ist. Als die sieben Mehrfamilienhäuser in den 1960er-Jahren für die Mitarbeiter der Bayer-Werke gebaut wurden, waren an den Giebelseiten Sgraffitos angebracht. Die Motive zeigten Szenen aus Märchen oder aus Wilhelm Buschs Max und Moritz. Zwanzig Jahre später wurden die populären Fassadenbilder einfach überputzt und verschwanden so aus dem Gesichtsfeld. Es blieb nur der Name Märchensiedlung. Eine Ansichtskarte ist einer der wenigen Belege. Darauf sind in Schwarzweiß zwei der vielen Motive abgebildet.
Alte Zeiten zurückgeholt
2012 investierte die Wohnungsgesellschaft Vivawest Wohnen 4,5 Millionen Euro in eine umfassende energetische Sanierung. Dabei fiel auch die Entscheidung, die alten Motive mit den »Sieben Schwaben« und »Max und Moritz mit Schneider Böck« als Sgraffito wieder aufleben zu lassen. Felix Brachthäuser, Kundencenter-Leiter von Vivawest dazu: »Wir möchten, dass die Märchensiedlung auch wieder die Märchensiedlung wird!« Das ist eine respektable Entscheidung für ein Unternehmen, das rund 130000 Wohneinheiten in 79 Städten in Nordrhein-Westfalen bewirtschaftet. Immerhin wirbt Vivawest mit dem Slogan: »Wohnen, wo das Herz schlägt.«
Die Sgraffito-Arbeiten sorgen so für die emotionalen Momente. Beauftragt wurde damit das Stuckateurunternehmen »Belz Stuck-Putz-Trockenbau« aus Bonn. Beide Motive wurden an einem Giebel angebracht – und zwar zeitversetzt in zwei Abschnitten. Während das »Max-und-Moritz«-Motiv der Illustration von Wilhelm Busch nachempfunden wurde, hat Stuckateurmeister Horst Schneider die »Sieben Schwaben« neu entworfen. Realisiert wurde das Sgraffito mit einem dunkelgrauen Kratzgrund und einem weißen Deckputz. Für den Kratzvorgang hatte sich Stuckateurmeister und Betz-Geschäftsführer Michael Christmann überlegt, wie man das Aufreißen der Motive rationeller gestalten kann. Üblicherweise wird die Entwurfszeichnung auf Papier übertragen und dabei auf das Endformat vergrößert. Anschließend wird das Motiv auf die Fassade gepaust.
Innovative Lösung
Nicht so in diesem Fall. Christmann erläutert seine neues Verfahren so: »Das Motiv wird bei Einbruch der Dunkelheit mit Hilfe eines Videobeamers auf die Gebäudefassade projiziert und die Konturen angezeichnet. Dann werden die Motive in Handarbeit ausgekratzt.« Es war also Nachtarbeit angesagt. Die
beiden 3 x 5 Meter großen Motive wurden in zwei Nachtschichten Ende April und Anfang Mai 2012 herausgekratzt. Die Stuckateure begannen um 22 Uhr und arbeiteten bis 4 Uhr morgens. Dabei waren sie nicht allein, wie sich herausstellen sollte. Begeistert berichten sie von der Hilfsbereitschaft der Worringer, die sie mit heißem Kaffee versorgten. Und als sich einmal herausstellte, dass die vorhandenen Stromkabel nicht ausreichten, liehen Nachbarn die fehlenden drei Meter aus.
Bei der ersten Aktion kam um Mitternacht auch die Polizei vorbei. Die Ordnungshüter waren angesichts der Zuschauer und der angestrahlten Fassade mehr neugierig als irritiert und fragten: »Wir gehen mal davon aus, dass das hier alles legal ist?«. Das war es natürlich und mit der Firma Belz war ein
Fachunternehmen am Werk.
Da nachts die Konturen herausgekratzt wurden, konnten bei Tageslicht die Details verfeinert werden. Dort wo das Gerüst Schatten warf, musste noch nachgearbeitet werden. Außerdem waren die dunklen Flächen noch besser herauszuarbeiten. Das Ergebnis kann sich heute sehen lassen: Die Märchensiedlung hat ihre verloren gegangenen Bilder und damit ihre Identität wieder zurückbekommen.
pd
Abbildungen: 1+2: Belz; 3: Vivawest; 4: Dolt Ausgabe: 1/2013