01. Januar 2016

Erst die Pflicht, dann die Kür

Warum man erst die Basis-Hausaufgaben in der Kommunikation gemacht haben sollte, bevor man mit Facebook, Twitter und Youtube beginnt.

Social Media ist in aller Munde. Es wird berichtet über Cyber-Mobbing mit ­ersten Selbstmordfällen, von Cyber-­Kriminalität mit Datendiebstahl, Viren und Web-Attacken, von Abstürzen von Facebook- sowie Groupon-Aktien. Es gibt aber auch positive Berichterstattung - ­häufig wird auf die vielfältigen Veränderungen und die Chancen, die Social Media mit sich bringt, hinge­wiesen. Und in Facebook posten mittlerweile eine Milliarde Menschen um die Wette. Der Autor dieses Artikels sieht diese Entwicklung nicht unbedingt negativ. Aus seiner Sicht befindet sich die ­Gesellschaft in einer Phase der ­»digitalen Pubertät«. Wie in der Pubertät sind wir noch am Ausprobieren, am Übertreiben und in der Phase der Selbstfindung. Daher beschäftigt sich dieser Artikel mit der Frage: »Wo steht Social Media ­innerhalb des Marketings?«.

Social Media im Marketing
Kennen Sie den Unterschied zwischen Marketing und Werbung? Machen Sie einen Selbstversuch. Stellen Sie sich vor, Sie haben großen Hunger und ein Schokoriegel kommt Ihnen in den Sinn, um das Hungerbedürfnis zu stillen. Welche Marken fallen Ihnen dazu ein? Bei vielen Vorträgen wurde diese Frage gestellt, dabei ergab sich folgende Hitparade der Nennungen: 1. Mars, 2. Snickers, 3. Twix. In der Werbesprache spricht man von einem »Relevant Set« – übersetzt könnte man dies »Bedürfnis-Befriedigungs-Hitparade« nennen. Wahrscheinlich ist bei Ihnen die ­Reihenfolge ähnlich? Wie kommen ­diese Marken bei Lust auf Schokolade in ihr Gedächtnis? Durch Marketing! So simpel die Antwort, so komplex sind die Prozesse, die dahinter stehen. Würden Sie den Schokoriegel kaufen, wenn er 100 Euro kosten würde? Sicher nicht, bei der erfolgreichen Vermarktung spielt der Preis eine wichtige ­Rolle. Würden Sie ihn kaufen, wenn Sie 100 km fahren müssten? Bestimmt nicht! Der Vertrieb und die Logistik gehören auch dazu – im Marketing spricht man in diesem Zusammenhang von Place. Würden Sie ihn kaufen, wenn er nicht schmeckt? ­Zumindest kein zweites Mal – also spielt das Produkt und dessen Qualität eine wichtige Rolle. Nun gut, aber die Werbung beziehungsweise Promotion gefällt Ihnen nicht. Würden Sie den Schokoriegel kaufen? Eben! Kurzum - die Werbung ist sehr wichtig, sie sorgt dafür, dass die Marke eine hohe Platzierung in Ihrer persönlichen Rangliste einnimmt. Für einen dauerhaften Vermarktungserfolg müssen alle vier ­Faktoren, die sogenannten »4P’s« aufeinander abgestimmt sein, man spricht vom sogenannten »Marketing-Mix«.

Die 4P’s des Marketing-Mix
Marketing ist viel mehr als nur ­Werbung. Schauen wir uns den Bereich ­»Promotion« genauer an. Hierzu werden die folgenden Disziplinen gezählt: die Werbung - zum Beispiel Anzeigen, die Verkaufsförderung - beispielsweise Preis- oder Rabattaktionen, das Direktmarketing mit dem Versand von Werbebriefen, das Sponsoring mit der Unterstützung von Sportvereinen, die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit mit der Pflege von Kontakten zu Zeitungen und der On­line-Bereich mit den Themen Home­page, Newsletter, Bannerwerbung und Social Media. Social Media ist also eine Disziplin der Marketing-Disziplin ­»Kommunikation« (Promotion) und hier ein Bereich des Online-Marketings.

Was ist Social Media?
Das Web 2.0 grenzt sich vor allem durch seine interaktiven Nutzungsarten vom Web 1.0 ab. Bei Letzterem gab es nur wenige Personen und Organisationen, die Inhalte für das Web erstellten, aber zahlreiche Konsumenten, welche die bereitgestellten Inhalte passiv nutzten. Das Web 1.0 hat zu Beginn vor allem aus statischen ­Seiten bestanden, von denen viele für längere Zeit unverändert ins Netz gestellt ­wurden. Damit sich Seiten auch von mehreren Menschen effizient bearbeiten ­lassen, wurden Content-­Management-Systeme und aus Datenbanken gespeiste Systeme entwickelt.
Social Media hat die Welt schon heute in einem bisher nicht für möglich gehaltenen Umfang und Geschwindigkeit verändert. Diktatoren werden gestürzt durch Proteste, die beispielsweise auf Twitter organisiert wurden. Facebook-Parties mit über 3000 ungeladenen ­Gästen geraten außer Kontrolle. Schon manche öffentliche Person hat einen sogenannten »Shitstorm«, eine Empörungswelle, über sich ergehen ­lassen müssen (Christian und Bettina Wulff, Michael Wendler).

Phase des Übertreibens
Es geht heiß her in Social Media: von Cyber-Mobbing mit den ersten Selbstmorden über Cyber-Kriminalität bis hin zur Online-Sucht, deren Opfer immer jünger werden, bietet sich das ganze Spektrum. Es scheint, dass sich die Gesellschaft aktuell in der Phase des »Übertreibens« befindet. Jede Kleinigkeit wird in Facebook, Twitter oder Youtube dokumentiert. Noch vor der Geburt des Kindes werden Ultraschallfotos hochgeladen und mit der Geburt wird jede kleine Entwicklung per Foto mitgeteilt. Neueste Studien belegen übrigens, dass sich der digitale Medienkonsum über Smartphone, Tablet und Computer bei Kindern bis zum Alter von sechs Jahren negativ auf ihre Entwicklung auswirkt.
Social Media beginnt zu­sehends unsere Arbeits­prozesse zu verändern. ­Markenartikelhersteller ­fordern beispielsweise ihre Kunden auf, bei Verpackungsdesigns mitzugestalten. Oder denken Sie an das Phänomen »Wiki­pedia«, an dem 2001 gegründeten Online-Lexikon arbeiten ­inzwischen weltweit rund 1,5 Milli­onen Menschen freiwillig und ohne Bezahlung mit. Wer schaut da noch in ein ­gedrucktes Lexikon?

Faktor Kommunikation
Der Autor sieht in Social ­Media den nächsten Auslöser eines »Kondratieff-Zyklus«. Hierbei handelt es sich um Zyklen wirtschaftlichen Wachstums, die durch ­besondere Innovationen ­ausgelöst wurden, mit denen massenhaft Bedürfnisse ­befriedigt werden können. Inzwischen sind laut UNO-Statistik 2,3 Milliarden ­Menschen, also rund ein Drittel der Weltbevölkerung, online. In der Größe der Communities konkurieren die Social Media-Anbieter mit den bevölkerungsreichsten Ländern der Erde. Aber warum ist ­Social Media so erfolgreich? Warum ­trennen sich Partnerschaften in der Öffentlichkeit? Warum engagieren sich Menschen freiwillig und ­ohne Bezahlung für Internet-Projekte? Die Antwort ist einfach: Weil Menschen schon immer kommunizieren, sich austauschen und sich gerne selbst darstellen möchten, im Sinne von »mein Haus, mein Auto, meine Yacht!«     

Bernd Frey,
Leiter Marketing Baumit

Ausgabe: 3/2013