01. Januar 2016

Neue Kräfte braucht das Land

Nur jeder fünfte Betrieb in der Baubranche bildet heute aus - das ist so wenig wie noch nie. Dabei gibt es zahlreiche Gründe, warum gerade Handwerksbetriebe junge Kräfte in Zukunft stärker einbinden sollten.

Der seit längerer Zeit diskutierte Fachkräftemangel hat die Baubranche längst erreicht. Nicht nur Stuckateur-Fach­betriebe suchen gute Fach- und Nachwuchskräfte. Bei niedrigen Geburtenzahlen können sich junge Bewerber heutzutage die besten Lehrstellen aussuchen. Trotzdem gibt es in Deutschland rund zwei Millionen Menschen im Alter zwischen 20 und 35 Jahren ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung. Umso erstaunlicher ist es, dass aktuell in der Baubranche nur jeder fünfte ­Betrieb ausbildet. Das sind so wenige wie noch nie. Es lohnt sich, genauer hinzuschauen.  
Nicht nur Handwerker machen die leidige Erfahrung, dass viele Jugendliche heute keine ausreichende Schulbildung und Reife für die Ausbildung mitbringen. Geht man ins Detail, ist festzu­stellen, dass es in Deutschland rund zwei Millionen junge Menschen gibt, die zwar einen Schulabschluss haben, aber keine abgeschlossene Lehre. Mag sein, dass viele Unternehmer der Ansicht sind, ihnen stehen damit keine ­geeigneten Bewerber zur Verfügung. Aber auch für diese Zielgruppe sollten Handwerksbetriebe auf der Suche nach Nachwuchskräften ein offenes Ohr ­haben, wenn ihnen die Zukunft wichtig ist.

Fachkräfte werden rar
Aktuelle Auswertungen zur Personalstruktur in der Baubranche belegen, dass die Gruppe der Mitarbeiter im ­Alter zwischen 35 und 55 Jahren mit rund einer viertel Million gewerblicher Arbeitnehmer mit Abstand am stärksten vertreten ist. Verschwindend klein, mit nur 50000 Mitarbeitern, ist die Gruppe der Lehr­linge und Junggesellen im Alter von 15 bis 25 Jahren. Jedem weitsichtigen ­Unternehmer muss dies die Augen ­öffnen.
Wenn die »Alten« in Rente gehen, wächst keine ausreichende Zahl an Fachkräften nach. Sofern die Ausbildungszahlen nicht steigen sollten. Die meisten Bauarbeiter gehen im Schnitt mit 62 Jahren in Rente. Gemessen an den derzeitigen Zahlen bedeutet dies, dass in den nächsten zehn Jahren jährlich über 10000 Berufsanfänger als ­Ersatz benötigt werden, wenn die ­Älteren in den Ruhestand gehen. Voraus­gesetzt, die Nachwuchskräfte bleiben weiterhin in der Branche.
Die bisherigen Abwanderungsquoten zeigen, dass sich bei gleich bleibenden Ausbildungs­zahlen nur die Hälfte der altersbedingten Austritte ersetzen lässt. Interessant ist dabei, dass viele Ab­brecher und ­Umschüler ihren Lehr­betrieb erst ­unmittelbar vor der Ausbildung kennengelernt haben.

Persönlichen Kontakt aufbauen
Wichtig ist also, dass man sich rechtzeitig um den Nachwuchs kümmert. Zumal ein früher und persönlicher Kontakt zum Betrieb, beziehungsweise der Abgleich der Erwartungen mit dem ­beruflichen Alltag, wichtige Faktoren für den Ausbildungserfolg sind. Das ist die Grundlage dafür, dass die Nachwuchskräfte im Unternehmen bleiben. Laut Befragungen stand fast jeder zweite Lehrling bereits länger mit ­seinem Ausbildungsbetrieb in persön­lichem Kontakt. Zum Beispiel, weil man sich dort vorher mit Ferienarbeit oder einem Praktikum ein wenig Taschengeld dazuverdient hat. Die eigene Belegschaft hat bei der Kontaktvermittlung erheblichen Einfluss.
Bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz nutzen heute fast alle Jugendlichen die neuen Medien. Das Internet ist mit großem Abstand die wichtigste Informationsquelle. Jeder Unternehmer, der Lehrlinge sucht, sollte seine Internetadresse entsprechend gestalten. Die Schulen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Informationsvermittlung. Weniger wichtig sind Messeveranstaltungen, spezielle Zeitschriften oder ­Prospekte. Öffentlichkeitsveranstaltungen der überbetrieblichen Ausbildungszentren sind nicht mehr als eine bessere Nabelschau.

Arbeitsklima als Kriterium
Gute Zukunfts- und Berufsaussichten beziehungsweise das Anwenden der erlernten Fertigkeiten im privaten Alltag geben bei der Berufswahl den Ausschlag. Wichtig für die Jungen ist der Spaß an der Arbeit und im Betrieb. Auch wenn Lehrlinge am Bau gutes Geld verdienen, so spielt die Ausbildungsvergütung nicht die wichtigste Rolle bei der Berufswahl. Die Arbeits­zufriedenheit auf den Baustellen und der faire Umgang mit den Kollegen hat wiederum sehr viel mit dem Ausbildungserfolg zu tun. Leider ist fast jeder zweite Abbrecher mit dem Arbeitsklima des Ausbildungsbetriebes unzufrieden. Oft wird eine hohe Arbeitsbelas­tung ­sowie eine unfaire Behandlung durch Vorgesetzte und Kollegen bemängelt. Letztendlich gelingt die Ausbildung vor allem dann, wenn sie auch umfangreich und gründlich ist.

Perspektiven bieten
Nicht nur das Handwerk und die Baubranche müssen sich in den kommenden Jahren noch stärker an den Bedürfnissen der jungen Mitarbeiter orien-­tieren. Flexiblere Arbeitszeitmodelle, berufliche Perspektiven und die Weiterbildung sind hier wichtige Punkte. Die guten Lehrlinge streben nämlich nach der Ausbildung die Meisterprüfung oder andere Zusatzqualifikationen an. Es liegt an jedem fortschrittlichen Unternehmer, welche Perspektiven und ­Zukunftschancen er jungen Mitarbeitern bieten will.

Handwerk hat Zukunft
Die Baubranche finanziert seit vielen Jahren eine solidarische Ausbildungsumlage. An Anreizen, sprich den Kosten, kann es jedenfalls nicht liegen, wenn Betriebe nicht ausbilden. Im Gegenteil: Wer die Rückerstattungsbeträge für die Ausbildung nicht nutzt, ist selbst schuld. Ganz zu schweigen von den zahlreichen anderen Vorteilen, die eine qualifizierte Ausbildung bringt.
In Zeiten, in denen immer mehr Schulabgänger ein Studium machen, auf ­Trendberufe setzen oder in Branchen einsteigen, die keine ­dauerhafte Perspektive haben, ist eine handwerkliche Ausbildung alles andere als ein Not­nagel. Die künftigen Rahmenbedingungen des Marktes rund um den Umweltschutz, die Schulden- und Eurokrise oder eine älter werdende Gesellschaft sowie die Energiewende machen gerade das Stuckateurhandwerk in den nächs­ten Jahren zu einem wichtigen Marktteilnehmer.

F. Helfensteiner

Abbildungen: Fotolia                                                                                                         Ausgabe: 2/2013