01. Januar 2016

Klein-Manhattan an der Blau

Beim Stadtregal in Ulm handelt es sich um ehemalige Werkshallen des Fahrzeugherstellers Magirus-Deutz, die in moderne Wohn-, Gewerbe- und Dienstleistungsräumlichkeiten ­umgewandelt wurden. Das Farbkonzept für die Fassade und der Innenraum setzen Maßstäbe.

300-Quadratmeter-Lofts, Büros mit Fernblick — Tür an Tür mit Künstler-Ateliers und Galerien, Restaurants und Fitness-Clubs. Alles unter einem Dach, stadtnah und in bevorzugter Uferlage. Klingt nach New York und Hudson ­River? Befindet sich aber in Ulm am Flüsschen Blau, einem kleinen Nebenarm der Donau: Das »Stadtregal« zeigt auf über 20000 Quadratmetern Nutzfläche, wie in einen aufgelassenen ­historischen Fabrikkomplex das Leben mit all seiner Vielfalt und Buntheit ­wieder einziehen kann. Mit maximalen Freiheiten für die neuen Eigentümer. Und einem durchdachten Sanierungs- und Farbkonzept.

Kühne Vision wird wahr
Eine Vision entwickeln — das ist die Kunst, etwas (noch) Unsichtbares klar vor sich zu sehen. Im Fall des mächtigen Ulmer Stahlbetonskelettgebäudes, 235 Meter lang, 30 Meter breit, vier ­Geschosse hoch und mit Raumhöhen von vier bis sieben Metern ausgestattet, musste die entsprechende Vision etwas kühner ausfallen: Was tun mit den ehemaligen innerstädtischen Werkshallen des Fahrzeugherstellers Magirus-Deutz aus den 1960er-Jahren, deren Abriss viel zu teuer gekommen wäre? Wie so viel Rauminhalt nutzen, dass ein städtebaulicher Gewinn fürs Quartier entsteht und die Rechnung auch wirtschaftlich aufgeht? Die Bauherrin, die stadteigene Projektentwicklungsgesellschaft PEG, entwickelte 2004 zusammen mit den Büros Braunger Wörtz Architekten und Rapp Architekten die Idee, das Gebäude bis auf die Tragstruktur zu entkernen. Anschließend sollte es — wie ein Regal — nach und nach mit neuen, vielfäl­tigen Nutzungen fachweise gefüllt ­werden: Wohnen, Dienstleistung, ­Gewerbe und Kultur unter einem Dach. Erst nachdem sich genügend Käufer für die frei nutz- und gestaltbaren Teil­flächen im »Stadtregal« gefunden ­hatten, wurde 2006 mit dem Umbau begonnen. Der fünfte und letzte Bau­abschnitt wird Ende 2012 fertiggestellt.

Herausforderung: Bauen im Bestand
Spannend gestaltete sich zunächst die Bestandssanierung. Überraschungen wie die rund 10000 Holzstäbchen, die als Bindematerial in der alten Fassade ­dienten, mussten entfernt und die ­Öffnungen wieder verspachtelt werden. »Wir mussten die Fassade praktisch ganz abtragen und wieder neu aufbauen«, berichtet Martin Wies von Ankner und Wies. Der Malerfachbetrieb setzte bei der Betonsanierung Reprofill K 764 ein. Der Spezialmörtel für Problemfälle wie Eck- oder Kantenausbrüche glättet Untergründe mit hoher Nassklebekraft und gutem Standvermögen. Nachhal­tigen Schutz erhielt die Fassade mit ­ihrer Schlussbeschichtung, dem wetterbeständigen und hoch deckenden Finish Brillux Betonacryl OS 859. Auch im ­gesamten Innenbereich sorgten Ankner und Wies für frische Oberflächen. »Wichtig war, dass die originale ­Beschriftung, zum Beispiel die Markierung der Belastungsgrenzen, erhalten blieb«, weist Martin Wies auf eine ­Besonderheit hin. Im zeitgemäßen ­Erscheinungsbild des »Stadtregals« ­finden sich so charmant eingestreut ­Zitate aus der Geschichte des Hauses. Alle Innenwände wurden mit Brillux ­Super Latex Elf 3000 gestaltet. Es gab den Ausschlag, dass der Anstrich gut für Streiflichtsituationen geeignet und dabei strapazierfähig sowie in vielen hundert Farbnuancen abtönbar ist. Unterstützen ließ sich Ankner und Wies auch von Brillux Logistik und Technischer ­Beratung. Martin Wies: »Die Brillux- ­Niederlassung war nur eine Minute Fußweg von der Baustelle entfernt — und der technische Außendienst war zur Stelle, wenn er ­gebraucht wurde.«

Prinzip: zurückhaltende Farbigkeit
Das Farbkonzept für Fassade und Innenraum setzt bewusst auf gedämpfte ­Töne. Damit soll das Gebäude auch ­optisch für alle Nutzungen offen gehalten werden. Die Sichtflächengestaltung versteht sich hier als visueller Rahmen so wie sich die Architektur als greifbare Regalstruktur versteht. Die Tragelemente wurden daher in Anlehnung an die natürliche Betonfarbe in einem hellen Beigeton beschichtet.
Die großen Luft­räume, in denen sich früher die Lastenaufzugsschächte befanden, erhielten in jedem der fünf Bau­abschnitte einprägsame Leitfarben — von gedecktem Blau bis zu Grün und Rot. »Dies hilft, den einzelnen Ort zu definieren und erleichtert die Orientierung«, so Architekt ­Stefan Rapp.
Die übrigen Flächen ­wurden entweder in Sichtbeton ­belassen oder in verschiedenen Weiß- und Grautönen ausgeführt.

Eine Vision, die angekommen ist
Das »Stadtregal« boomt: Nur im fünften und letzten Bauabschnitt sind noch Flächen zu haben, und das zu statt­lichen Preisen: Eine Loftwohnung mit rund 220 Quadratmetern kostet den ­Interessenten aktuell über 670000 Euro — Panoramablick auf das Blautal und das Ulmer Münster inklusive. Das ­Konzept ist aufgegangen, ästhetisch wie ökonomisch: Das belegen auch die vielfachen Prämierungen. Die jüngste Auszeichnung war eine Anerkennung beim Deutschen Architekturpreis 2011. Deren Jury befand: »Endlich und erleichtert dürfen wir zur Kenntnis nehmen, dass das, was Visionäre der Nachhaltigkeit und Stadtentwicklung schon länger ­prophezeit haben, nun in der Wirklichkeit angekommen ist.«

Abbildungen: Brillux                                                                                                                 Ausgabe: 3/2012