03. Dezember 2018

Fassadenbrände im Überblick

Wer kennt nicht die Berichte über die Brandgefahr von gedämmten Fassaden? Oft wurden dabei Unwahrheiten verbreitet – wie zuletz beim Brand des Grenfell Towers. Der Experte Werner Eicke-Henning fasst die Erkenntnisse zu Brandverläufen mit Polystyrol auf Fassaden zusammen.

Im Jahr 2018 kamen die ersten Teilberichte der Londoner Untersuchungskommission zum Brand des Grenfell Towers heraus. Sie sind eine Beruhigung für all jene, die bisher den Dämmstoff Polystyrol einsetzten (mehr auf Seite 18). Auch die Deutsche Bauministerkonferenz ging nicht auf die Forderung verschiedener Feuerwehrchefs ein, wegen des Londoner Brandes Polystyrol an deutschen Hausfassaden in der Gebäudeklasse 4 und 5 unter Hochhausgrenze zu verbieten. Es gab keine neue Befassung mit dieser Forderung, die die Feuerwehren wohl auch viel Glaubwürdigkeit kosten wird.

Es brennt jährlich rund 180000-mal in Deutschland. Mit 80 Prozent dominieren Zimmerbrände, ausgelöst durch elektrische Geräte, Rauchen, Unachtsamkeit, Unglücke. Verlauf und Art der Brände haben sich in den letzten 150 Jahren günstig verändert. Dank Massivbauweise, Zentralheizung statt Öfen, Glühbirne statt Kienspan und schnellen, gut ausgerüsteten Feuerwehren, kennen wir heute kaum noch vernichtende Großbrände. Auch die Anzahl der Brandtoten halbierte sich seit 1980 noch einmal von 800 auf 343.

Analyse der 106 Brandfälle seit 2003 auf der »Brandereignisliste WDVS«: 1,8 größere Brandfälle pro Jahr auf 20Millionen Gebäude in Deutschland
Analyse der 106 Brandfälle seit 2003 auf der
»Brandereignisliste WDVS«: 1,8 größere Brandfälle pro
Jahr auf 20Millionen Gebäude in Deutschland

Gute Gründe für Dämmung

Seit 2011 werden Fassadenbrände mit Polystyroldämmung (EPS) in Deutschland als hohes Brandrisiko dargestellt. Die Verunsicherung von Hauseigentümern führte zu Dämmenthaltung. Das ist fatal, denn Wärme-dämmung ist eine der wenigen funktionierenden Energiespartechniken, sie reduziert den Heizenergiever-brauch verlässlich um bis zu 80 Prozent und schafft damit die Voraussetzung für die erneuerbaren Energien bei der Gebäudeheizung. Das kostengünstige EPS sichert zudem eine sozialverträgliche energetische Sanierungspraxis im Altbau.

Unser Brandschutzrecht lässt brennbare Baustoffe zu, wenn ihre Auswirkungen im Rahmen der ohnehin zu erwartenden Brandverläufe keine unakzeptablen ­Risiken erzeugen. Die Zulässigkeit wird für einzelne ­Gebäudeklassen geregelt, unterschieden nach Gebäudehöhe, Nutzungsart und nach Bauteilen. In Gebäudeklasse 1 – 3 sind vom Einfamilienhaus bis zu ­Mehr­familienhäusern mit zwei Stockwerken alle ­Fassadendämmstoffe der Baustoffklassen A bis B2 ­zulässig. In Gebäudeklasse 4 – 5 (ab drei Stockwerke oder Höhe des letzten Fußbodens über Erdreich von 7 m bis 22 m) müssen Dämmstoffe an der Fassade schwer entflammbar sein. An Hochhäusern und ­Sonderbauten sind nicht brennbare Dämmstoffe auf der Fassade vorgeschrieben.

Gesetzliche Regeln sorgen für Sicherheit

Für die Gebäudeklasse 4 – 5, beschloss die Bauministerkonferenz 2012 neue Brandschutzregeln für schwerent-flammbare Fassadendämmstoffe in Wärmedämm-Verbundsystemen (WDVS). Seitdem gelten für neue WDVS aus Polystyrol, egal welcher Dämmdicke, geänderte Einbaupflichten für Brandriegel. Diese nicht brennbaren Dämmstreifen werden gebäudeumlaufend im Bereich des Sockels, sowie über dem Erdgeschoss eingebaut und ergänzt, um die schon länger vorgeschriebenen Brandriegel über dem Obergeschoss und alle weiteren zwei Stockwerke. Bei brennbaren Dächern kommt unter den Dachüberstand ein weiterer Brandriegel. Ein Regelwerk enthält viele weitere Details. Brandriegel verhindern keine Brände, sondern erschweren die Brandweiterleitung im Dämmstoff unter dem Putz und teilen die dort schmelzende EPS-Dämmung in Abschnitte, die den Putz nicht aufplatzen lassen.

Dämmung stellt keine Gefahr dar

Polystyrol wird stets durch einen Primärbrand entzündet. Will man die Wirkung einer EPS-Dämmung beim Fassadenbrand beurteilen, muss man wissen, wie sich dieser Primärbrand allein entwickelt hätte. Die aus den Fenstern schlagenden Flammen von Zimmerbränden oder Flammen von brennenden Müllcontainer-, Autos- oder Schuppen lodern außen an der Fassade nach oben und erreichen Höhen von zehn Meter.

Damit zerstören sie auch ohne Dämmung die Fenster, erzeugen dort weitere Zimmerbrände oder erreichen oft das Dach. Dieser auch bei ungedämmten Fassaden typische Brandverlauf wird erst durch die Feuerwehr gestoppt. Die Flammen vor der Fassade lassen das EPS schmelzen. Durch abgeschmolzenes Polystyrol geschwärzte Fassaden sind noch kein Beleg für einen hohen Brandbeitrag der Dämmung, die bei den meisten Bränden nicht zur Brandweiterleitung beiträgt. Dafür sprechen die folgenden Fakten:

  • Polystyrol-Fassadendämmung erhöht nicht die Anzahl der Brände. Gedämmte Fassaden brennen innerhalb der jährlich 180000 Brandfälle mit.
  • Das Todesfallrisiko bei Bränden halbierte sich seit 1980, obwohl die mit Polystyrol gedämmte Fassadenfläche zunahm. Es gab noch nie Brandtote durch das Mitbrennen einer Fassadendämmung.
  • Fassadenbrände mit EPS oder normal entflammbaren Dämmstoffen sind selten. Eine Analyse der »Brandereignisliste« des deutschen Feuerwehrverbandes belegt pro Jahr nur 1,8 Brandfälle oder 0,01 Promille aller jährlichen Brände, bei denen Polystyrol über mehrere Stockwerke brannte.
  • 53 Prozent der Brandereignislisteneinträge sind Bagatellbrände. Dazu gehören die meisten Brandüberschläge aus Fenstern, da die kleinen Brüstungsflächen zwischen den Fenstern nur geringe EPS-Mengen enthalten.
  • Polystyrol brennt stringend nach oben, der von dort tropfenden Schmelze entgegen, nicht nach allen Seiten. Das begrenzt die Brandausdehnung am Haus.
  • Mit dem »Referenzbrand« beurteilt, ist der zusätzliche Beitrag von EPS bei Fassadenbränden meist gering.
  • Die Menschenrettung wird durch EPS auf der Fassade nicht erschwert. Selbst bei Flammbeaufschlagung einer ganzen Fensterreihe nach oben (EPS brennt meist unter dem Putz!), stehen zum Anleitern Fenster anderer Zimmer oder auf der anderen Hausseite zur Verfügung. Auch können Menschen mit Fluchthauben durchs Treppenhaus gerettet werden, wenn dieses durch den Primärbrand verraucht ist.

Das WDVS mit EPS-Dämmung war bereits ein sicheres System, als es die Beschlüsse der Bauministerkonferenz noch sicherer machten.

 

Dipl.-Ing. Werner Eicke-Hennig
Energieinstitut Hessen

 

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