01. Januar 2016

Architektur in Farbe

Deutschlands Architektur wird farbiger. Immer mehr Investoren, Architekten ­und Bauherren beweisen Mut zur farbigen Gestaltung, weil Farbe nicht nur ­architektonische Konzepte unterstützt, sondern echte Lebensräume schaffen kann.

Die Architekturgeschichte zeigt anschaulich, dass auf monochrome Phasen in der Regel polychrome folgen. Seit ­einigen Jahren ist Farbe wieder zu ­einem wesentlichen Faktor der Gestaltung und integralen Bestandteil der Vermittlung von Architektur geworden. Die Zurückhaltung vergangener Jahrzehnte weicht einem neuen Farb­bewusst­sein, einer neuen Lust an der Farbe. Gründe für eine farbige Gestaltung gibt es viele: Farbe kann architektonische Elemente differenzieren, hervorheben oder zusammenfassen, die Klarheit und Lesbarkeit eines Bauwerks oder Stadtraumes unterstützen und zur Maßstäblichkeit der Strukturen bei­tragen. Durch eine starke Farbgebung verschafft man Bauwerken Aufmerksamkeit, mittels farbiger Konzepte ihre Einbindung in die Umgebung. Ein unstrukturiertes Gebäude wird durch eine mehrfarbige Gestaltung gegliedert und wirkt dadurch weniger massiv, während Einfarbigkeit die Gesamtform hervorhebt.

Farbe und Architektur Hand in Hand
Ein gelungenes Beispiel für mono­chrome Gestaltung ist die Fassade eines Einfamilienhauses in der Schweiz. Wie ein wertvoller Stein liegt das goldfarben beschichtete Gebäude in der Landschaft und fügt sich erstaunlich selbstverständlich in die Architektur und Farbigkeit der Umgebung ein. Die farbige ­Gestaltung des kompakten Solitärs war ein besonderes Anliegen des Architekten, eine metallisch-glänzende Lasur sollte die monolithische Körperhaftigkeit des Gebäudes verstärken. Zusammen mit der Firma Keimfarben wurde der Fassadenaufbau mit einem deckenden mineralischen Grundanstrich in ­rötlichem Beige und zwei Lagen Gold als Silikat-Lasuranstrich entwickelt. Die goldene Fassade verändert je nach ­Tageszeit und Lichteinfall ihre Farbigkeit und den Gebäudecharakter. Selbst bei trübem Wetter sorgt die Goldlasur durch ihren Glanz für ­lebendige und leuchtende Oberflächenwirkungen.

Farbspiel
Maßgeblich für die Farbwirkung sind nicht nur der jeweilige Farbton, sondern seine Nuance, sein Flächenanteil, seine räumliche Zuordnung sowie das ­Zusammenspiel von Architektur, ­Material, Licht und städtebaulicher ­beziehungsweise landschaftlicher ­Umgebung. Differenzierte Farbwahr­nehmung ist immer vom Licht abhängig. Lichtfarbe, Farbintensität und Lichteinfallwinkel verändern das Erscheinungsbild einer Farbe. Auch die Form und ­Beschaffenheit der Trägeroberfläche ist entscheidend - ein glänzendes Blau wirkt völlig anders als derselbe Farbton auf einer matten, samtigen Oberfläche. Das Spiel mit der Farbe erfordert ein ­hohes Maß an gestalterischer und ­technischer Kompetenz - neben anwendungs­spezifischen Anforderungen wird mit ­einem farbigen Anstrich immer auch das weite Feld von Gestaltung, Wirkung, Wahrnehmung und Ästhetik betreten. Ein zu tiefer Griff in den Farbtopf, eine miss­lungene Farbkombination oder das falsche Material - und das ­Erscheinungsbild eines Gebäudes, eines Straßenzugs, oder auch eines ganzen Quartiers kann sich nachteilig verändern.

Farbe im Kontext
Farbe an sich gibt es nicht; sie existiert nur im Kontext. Ein gelungenes Farbkonzept muss daher berücksichtigen, dass Farben sich wechselseitig beeinflussen – und wie sie das tun. Nur eine sorgfältige Analyse des Kontexts unter Berücksichtigung der komplexen Wechselwirkung aller Faktoren – Farbigkeit des gebauten Umfelds, der umgebenden Landschaft und Ausrichtung des Gebäudes – ermöglicht eine farbige Gestaltung mit überzeugender Wirkung. Eine neue Farbgestaltung kann nicht losgelöst von den vorhandenen Farbtönen eines Baukörpers entwickelt werden. Die Farbe des Daches oder farbige Türen und Fensterläden müssen in das ­Gesamtkonzept miteinbezogen oder mitgestaltet werden. Farbkontraste ­können den Ausdruck eines Gebäudes extrem verändern – je stärker man mit Kontrasten arbeitet, umso deutlicher hebt man einzelne Bauteile, Einzel­bauten oder Gebäudeensembles hervor. Will man eine Fassade farblich integrieren, sollte sich die Gestaltung in Helligkeit und Sättigung an den Farben im Umfeld orientieren. So entsteht trotz unterschiedlicher Farbtöne ein harmonischer Gesamtfarbeindruck.

Neues Farbkonzept
Die Fassaden-Neugestaltung des Hotels »Wikinger«  auf der Insel Usedom zeigt, wie Farbe ein Gebäude neu definieren und durch einen individuellen Ausdruck seinen Mehrwert erhöhen kann. Zu DDR-Zeiten als Ferienheim errichtet, wurde der Bau 1993 nach Entkernung und Neuaufbau als Hotel wiedereröffnet. 2011 entschloss man sich zu umfangreichen Umbauarbeiten und beauftragte das Keim-Farbstudio mit der ­Entwicklung eines Konzepts zur Neu­gestaltung der Fassade. Das Team ließ sich bei seinem Entwurf von der Landschaft inspirieren und schwelgte in kühlen Blau- und warmen Sandtönen in bewegten, wellenförmigen Farbflächen, die sich über die ganze Fassade ziehen und dem Gebäude eine ganz neue, unverwechselbare Ausstrahlung geben. »Meer, Himmel, Dünen und nicht zuletzt der Name des Hotels haben in uns zahlreiche Assoziationen geweckt«, erklärt Keim-Farbgestalterin Petra Götz. »So entstand fast spielerisch ein fassaden­übergreifendes Konzept.« Die Kombination von Flächen und Linien in luftig-­frischen Farbtönen bindet das Hotel in die umgebende Landschaft ein und ­reduziert zugleich optisch die Größe des Baukörpers. Das Blau der Fassade geht über in das Blau des Himmels, während ein sanftes Ocker den unteren Fassaden­bereich in den Vordergrund rückt und das Gebäude erdet. Ausgeführt wurde der Entwurf mit Keim Soldalit, einer hochwertigen und äußerst langlebigen Fassadenfarbe auf Silikatbasis.

Farbwirkung
Weil unser räumliches und emotionales Empfinden ganz erheblich durch Farbe beeinflusst wird, ist das Wissen um die Wirkung der Farben Grundlage eines professionellen Farbentwurfs. Die Assoziation die eine Farbe auslöst, hängt immer auch von ihrem Kontext und von den individuellen Erfahrungen und ­Vorlieben des Betrachters ab.
Darüber hinaus gibt es Gesichtspunkte, die zur Orientierung dienen können: So werden zum Beispiel Rot, Orange und Gelb als warm, aktiv und anregend wahrgenommen.
Ein warmer Farbton tritt räumlich nach vorne und mit ihm das Bauelement, das ihn trägt, während kühle Farben wie Blau, Türkis und Blauviolett introvertiert und konzentriert ­erscheinen, eher zurückweichen und Bauteile leichter und weiter erscheinen lassen. Auch die Intensität von Farben wirkt sich auf ­unsere räumliche Wahrnehmung aus – ein leuchtender Farbton tritt gegenüber einer gleich hellen, aber weniger gesättigten Farbe in den Vordergrund.
Eine harmonische Farbgestaltung sollte das Verhältnis von kalten zu warmen, leuchtenden zu stumpfen und aktiven zu passiven Farbflächen aufeinander abstimmen. Grundsätzlich gilt: Monochrome Farbtöne unterschiedlicher ­Helligkeit oder Sättigung und poly­chrome Farbtöne gleicher Helligkeit oder Sättigung führen zu einer farb­harmonischen Wirkung.

Nuancierte Farbkomposition
Beispielhaft für eine polychrom-harmonische Gestaltung ist das Farbkonzept für 22 Gebäude der Theodor-Suhnel Siedlung in Mülheim an der Ruhr, einem stadtnahen Wohnviertel, das in den 1920er-Jahren vom Architekten Theodor Suhnel erbaut wurde. Die Gebäude sind formal differenziert, zeigen aber ­dennoch alle die Handschrift des ­Architekten und bilden durch sich ­wiederholende Stilmittel und Fensterformate ein Ensemble.
Die Mülheimer Farbgestalterin Annette Kamieth-Flöer von Farb Office schlug dem Bauherrn bei der Modernisierung und Sanierung der Fassade eine farblich fein abgestufte Gestaltung mit Keim Soldalit vor, um die facettenreiche ­Architektur zu unterstreichen.
Obwohl sie mit allen Farben des Farbkreises ­arbeitet, wirkt die Farbkomposition aufgrund des geringen Sättigungsgrades und der leichten Vergrauung ­aller Farbtöne nicht bunt, sondern nuanciert und harmonisch.
Kern des Konzepts ist eine satte Polarität ­zwischen kalt und warm, aktiv und ­passiv. Die gewählte Farb­palette betont die architektonischen Akzente der ­verschiedenen Gebäude ­jeweils individuell und wirkt gleichzeitig als Klammer für das Gesamtbild.

Farbe und Material
Die Fassade als größte Fläche prägt das äußere Erscheinungsbild eines Gebäudes wesentlich und schützt die Bausubstanz vor Witterungseinflüssen. Eine gute ­Fassadenfarbe sollte nicht nur schön, sondern auch wirtschaftlich, bau­physikalisch sinnvoll und langlebig sein. Bauphysikalisch positive Eigenschaften wie eine geringe Wasseraufnahme und große Wasserdampfdurchlässigkeit führen zu langer Haltbarkeit, geringer Verschmutzung und einem natürlichen Schutz gegen Algen- und Pilzbefall. ­Damit Fassadenfarben die gewünschte Optik möglichst lange bewahren, müssen sie eine hohe Farbtonbeständigkeit ­sowie Witterungs- und UV-Stabilität aufweisen.
Dunkle Farbtöne unterliegen im Außenbereich infolge des ständigen Wechsels zwischen Erwärmung durch Sonneneinstrahlung und Abkühlung während der Nachtstunden größeren Temperaturschwankungen als helle Beschichtungen. Besonders in Wärmedämm­-Verbund-systemen kann es deshalb zu hohen thermischen Spannungen kommen.

Säurestabile Silikatfarben
Mineralische Fassadenfarben vereinen alle Pluspunkte eines Fassadenanstrichs, bauphysikalisch, wirtschaftlich wie ästhetisch.
Einer ihrer wesentlichen Vorteile ist die so genannte »Verkieselung«: Silikat­farben bilden keinen Film auf der Oberfläche, der sich mit jeder Neu­be­schich­tung verstärkt und allmählich zu einer Dampfsperre verdickt, sondern verbinden sich durch eine chemische Reaktion unlösbar mit dem Untergrund – höchst beständig und säurestabil. Ausgewählte Rohstoffe wie flüssiges Kaliumsilikat als Bindemittel, minera­lische Füllstoffe und anorganische Farbpigmente gewährleisten maximale ­Witterungsbeständigkeit und unübertroffene Dauerhaftigkeit.
Tuchmatte ­Silikatoberflächen schaffen dabei eine elegante und angenehme ­optische ­Wirkung und sind überdies ­»patina-fähig«, das heißt sie altern mit Würde und werden auch nach Jahrzehnten nicht unansehnlich.
 
Susanne Mandl
Freie Journalistin