Erneuerbare Solarfassade

Durch einen Luft-Wasserkollektor erreicht die Dachwohnung in einem denkmal­geschützten Schulhaus Passivhausstandard. Der baubiologische Kollektor besteht weitgehend aus nachwachsenden und mineralischen Rohstoffen wie Holz, Schilf, Lehm und Kalk. So entstanden minimale Emissionen bei optimalem Materialeinsatz.

Dass auch Baubiologen den Stand der Technik weiter entwickeln, bewies das Ingenieur-Büro »Bau Plusenergie« mit dem Bau eines Luft-Wasser-Hybrid­kollektors auf dem Südgiebel des denkmalgeschützten Dorfschulhauses von 1857 in Murrhärle (Rems-Murr-Kreis). Rolf Canters ist Bauherr, Inhaber des ­Ingenieur-Büros Bau Plusenergie und Baubiologe. Er hatte das Denkmal baubiologisch saniert, beispielsweise den Fachwerkgiebel mit 5 cm Schilf innen gedämmt und es mit einer erneuer­baren Energieversorgung ausgestattet  (siehe ausbau + fassade 3/12, S. 26 - 27). Im Rahmen des »Green Con Serve«-­Programms für mehr Klimaschutz baute er 2012 zudem den Giebel in eine Versuchsfassade um.

Energiegewinn
Der Kollektor deckt den Brauchwasserbedarf zu 75 Prozent und ist zugleich Lüftungs- und Heizungsanlage. Anders als bei gängigen Systemen wurde der Sonnenabsorber direkt auf die dünne mineralische Putzschicht montiert. Die Gebäudehülle wird dadurch nicht nur gedämmt, sondern gewinnt rund ­sieben­mal mehr Energie, als sie Wärme ­abstrahlt. Die Energiegewinn-Fassade reduziert den Heizwärme- und den ­Lüftungsbedarf von 104 m² Wohnfläche im Dachgeschoß um bis zu 40 Prozent (Ausgangszustand: Holzheizung und Warmwassererwärmung mittels ­Elektro-Heizstab). Die realisierte CO2-Einsparung beträgt zirka drei bis vier Tonnen pro Jahr.

Baubiologische Materialien
Wichtig war dem Baubiologen, nachhaltige Materialien und ebensolche Technikkomponenten auszuwählen. Die ­Unterkonstruktion ist aus Douglasie, die eingesetzte Dämmung aus Schilf. ­Zusammen mit Lehm und Kalk ist die Fassade durchgängig diffussionsfähig. Die mineralischen Putze sind zudem ­kapillaraktiv. So optimieren sie das Feuchtemana­gement der Fassade. Da viele nachwachsende Rohstoffe verwendet ­wurden, ist die CO2-Einlagerung entsprechend groß. Das steigert die ­Effizienz der Fassade noch einmal. Der Aufwand für die Steuerung der ­Anlage wurde minimiert.

Handwerkliche Ausführung
Für den wärmebrückenoptimierten Einbau des Schilfs hinter die Holzkonstruktion wurden eigene Ernte, Bundware und Platten kombiniert. Der Schiefstand der Fassade wurde mit Dämmstärken von 5 - 8 cm ausgeglichen. Die Anschlüsse an die Dachschräge waren mit Bundware einfach zu schließen. Für ­eine Reduktion der Wärmebrücken ­wurde das Schilf mit Edelstahldrähten fixiert. ­Neben einer erheblich gerin­geren Wärmeleitfähigkeit sind sie auch länger haltbar. Nach dem Grundieren mit Lehmschlämme wurde in zwei Schichten mit Wärmedämm-Lehm und faserverstärktem Lehm verputzt. Als Schlagregenschutz in der Bauphase wurde zudem teilweise ein farblich zu den ­Absorbern ­passender, durch Fasern verstärkter Kalkputz aufgebracht.

Abstimmung mit Denkmalamt
Viele Details wurden vor Ort entwickelt und mit dem Denkmalamt abgestimmt. So wurde die ursprünglich geplante autarke Stromversorgung der Anlagensteuerung durch Photovoltaikmodule wegen des Einspruchs der unteren Denkmalschutzbehörde nicht realisiert. Die historisch belegte Wiederkehr wurde wiederhergestellt. Die Leitungen des Heizkreises werden auch über Bauteile geführt und wärmen diese. Leitungen mit höheren Temperaturen laufen 12 m in der Wand aus Kalkputz und Natursteinen. 25 m laufen im Boden aus Terrazzo (aus Jura- und ­Muschel-Kalksplitt sowie Ziegelmehl, wie es für Tennis­plätze verwendet wird). Insgesamt werden ­zirka drei Tonnen minera­lische Materialien durchströmt.

Ökobilanzierung
Für den Kollektor wurden nur erneuerbares Schilf und Holz sowie Glas, ­Kupfer, EPDM-Dichtungen und Edelstahl verwendet. Aluminium, das bei der Herstellung viel Energie benötigt, wurde auf ein Minimum reduziert. Das Sys­tem wurde nach den Krite­rien der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) mit zwei am Markt vorhandenen Luft- und Warmwasser-­Kollektor-Systemen verglichen und ­eine Ökobilanz erstellt. Der realisierte ­Hybrid-Kollektor schnitt dabei am ­besten ab.

Erste Ergebnisse
Das wohngesunde und bauphysikalisch robuste System wurde vom euro­päischen Green Con Serve-Programm gefördert. Ebenfalls bezuschusst wurde der Einbau von Feuchte- und Tempe­ratur-Sensoren für eine wissenschaft­liche Auswertung. Die ersten Ergebnisse übertreffen die Berechnungen mit ­einem professionellen Simulations-­Programm um über 15 Prozent. Über ­einen sonnigen Wintertag wurden fast 18 kWh geerntet. Das entspricht einer Bioenergiemenge von fast 4 kg Holz pro Sonnentag. Zudem wird ­Sonnenenergie zur solaren Frischluft­erwärmung ­geerntet.
    
Achim Pilz,
freier Fachjournalist

Abbildungen: Canters/Pilz                                                                                                        Ausgabe: 3/2013